Pflegen ohne Pause
Bis zu 10.000 Euro im Monat kann die häusliche Pflege eines Angehörigen kosten. Einen Teil übernimmt die Versicherung, doch auch den Rest können viele Familien kaum aufbringen. Statt drei regulär bezahlte, sich im Schichtdienst abwechselnde Pflegekräfte zu beschäftigen, stellen immer mehr Familien so genannte „Live-Ins” aus Osteuropa ein. Die leben im gleichen Haushalt wie die zu Pflegenden – oft zu haarsträubenden Bedingungen.
Die Frauen werden von Agenturen etwa in Polen mit einem „Dienstleistungsvertrag“, also als Selbstständige, nach Deutschland entsandt, sagt Justyna Oblacewicz von der Beratungsstelle Faire Mobilität. Die Arbeitsbedingungen sind sehr hart: Oft arbeiten sie 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche. Manche der Frauen müssen sich Betten mit dem zu Pflegenden teilen. Die Trennung von der Familie führt dazu, dass im Herkunftsland sich Großeltern um die Kinder kümmern müssen oder dort wiederum Menschen aus Drittstaaten angeworben werden, um sich um die Kinder zu kümmern. „Auf dem Papier sind die Pflegekräfte selbstständig, bei genauer Betrachtung handelt es sich dabei aber um Scheinselbstständigkeit“, sagt Oblacewicz. Der Lohn liege in der Regel bei etwa 1.200 Euro im Monat – rund die Hälfte dessen, was für eine einzige einheimische Pflegekraft fällig würde. Doch die arbeite nur acht Stunden pro Tag – während die Live-Ins faktisch Tag und Nacht verfügbar sind. „So wird der Mindestlohn massiv unterschritten.“ Die Bereitschaft im Haus sei „definitiv Arbeitszeit und muss vergütet werden“, sagt Oblacewicz. Sowohl eine reguläre Einsatzdauer von über zehn Stunden, als auch die Verweigerung der vorgeschriebenen elfstündigen Ruhezeit sei illegal. Doch die systematischen Verstöße gegen das Arbeitszeit- und Mindestlohngesetz würden selten verfolgt. Die privaten Haushalte gelten nicht als Betriebsstätte, entsprechend fänden keine Kontrollen durch den Zoll statt. Weil der Arbeitsmarkt in Polen mittlerweile leergefegt ist, rekrutieren die polnischen Agenturen seit etwa zwei Jahren zunehmend Frauen aus der Ukraine, sagt Adam Rogalewski vom Gesamtpolnischen Gewerkschaftsverband OPZZ. „Die bekommen Visa für Polen und werden mit diesen als ‚entsandte Drittstaatler_innen‘ nach Deutschland geschickt.“
Beratungsstellen und weitere Fallbeschreibungen unter:
Faire Mobilität www.faire-mobilitaet.de
Fair Working Conditions www.fair-labour-mobility.eu