
News September 2022
ver.di-Analyse: Hält das „Chancen-Aufenthaltsrecht”, was es verspricht?
Die Ampel-Koalition hat einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik versprochen (siehe u.a. Forum Migration 08/22). Genau diesen haben ver.di und die Gewerkschaften seit Jahren von der Bundesregierung gefordert und die Vorhaben im Koalitionsvertrag ausdrücklich begrüßt. Mit dem Chancenaufenthaltsrecht will die Regierung nun mit den Vorhaben beginnen. Durch das neue Gesetz soll langjährig geduldeten Menschen der Weg in ein Bleiberecht ermöglicht werden. Anhand der Schicksale zweier Kolleg_innen hat ver.di die Regelungen exemplarisch bewertet. Der ver.di-Referent für Migrationspolitik, Romin Khan, sagte dazu beim 22. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz der Evangelischen Akademie zu Berlin, dass das Bleiberecht „als eine Art Belohnung dafür gehandhabt wird, dass man Bedingungen erfüllt, die man in der Realität gar nicht erfüllen kann“.
Rassismus häufigster Diskriminierungsgrund: Neuer Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Im Jahr 2021 gab es mehr als 5.600 Beratungsanfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADB), die mit einem vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Diskriminierungsmerkmal zusammenhingen. Das ist der zweithöchste Wert in der Geschichte der ADB, die 2006 gegründet wurde. Der leichte Rückgang gegenüber dem Vorjahr (6.383) sei auf weniger Anfragen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, insbesondere zur Maskenpflicht, zurückzuführen, so die ADB. „Die Zahl der uns geschilderten Diskriminierungsfälle ist alarmierend. Sie zeigt aber auch, dass sich immer mehr Menschen nicht mit Diskriminierung abfinden und Hilfe suchen“, sagte die erst vor Kurzem ins Amt gekommene Beauftragte Ferda Ataman (siehe Forum Migration 08/22). Das deutsche Antidiskriminierungsrecht müsse internationalen Standards angepasst werden, forderte sie. „Bisher schützt es nicht wirkungsvoll vor Diskriminierung. Die von der Koalition angekündigte AGG-Reform muss umfassend und zeitnah kommen“, sagte Ataman. Von den gemeldeten Fällen bezogen sich 37 Prozent auf rassistische Diskriminierung. An zweiter Stelle folgte mit 32 Prozent das Merkmal Behinderung und chronische Krankheiten. Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts machten 20 Prozent der Anfragen aus, aufgrund des Alters 10 Prozent. 9 Prozent bezogen sich auf den Merkmalsbereich Religion und Weltanschauung und 4 Prozent auf die sexuelle Identität. Die meisten Diskriminierungserfahrungen wurden im Arbeitsleben (28 Prozent) und beim Zugang zu privaten Dienstleistungen gemeldet (33 Prozent).
IG BAU: Informationskampagne für osteuropäische Bauarbeiter_innen
„Wer zahlt mir mein Urlaubsgeld? Warum haben sie mir weniger Urlaubsgeld ausgezahlt? Welche Informationen enthält der Arbeitnehmerkontoauszug? Welche Fristen beziehungsweise was genau muss ich beachten?“ – dies seien einige der häufigsten Fragen von Bauarbeiter_innen aus Osteuropa, die in Deutschland arbeiten. Das QBAU-Projekt führt deshalb in Kooperation mit der IG BAU Region Bayern eine zweite Kampagne für Bauarbeiter_innen aus Osteuropa durch. Diesmal ging es um das Urlaubsverfahren in der Bauwirtschaft. Die Teams suchen Baustellen und Unterkünfte auf und führen Gespräche mit den Beschäftigten. Urlaubskonto und Entschädigung für nicht genommenen Urlaub sind für Bauarbeiter_innen, die Serbokroatisch oder Rumänisch sprechen, ebenfalls sehr wichtig – daher gibt es auch Flyer mit den wichtigsten Inhalten in ihren Landessprachen.
Ein Jahr nach Machtübernahme der Taliban in Afghanistan: Viele Ortskräfte warten weiter
Anlässlich des Jahrestages der Eroberung von Kabul durch die Taliban fordert der AWO Bundesverband, Aufnahmeprogramme aus Afghanistan und den Nachbarstaaten zügig anzugehen. Brigitte Döcker, Vorstandsvorsitzende des AWO Bundesverbandes, appelliert: „Menschen in Afghanistan sind in akuter Lebensgefahr. Es ist dringend notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Leben zu retten.“ Qais Nekzai vom Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte sagte dem Evangelischen Pressedienst: „Auf meiner Warteliste stehen hunderte Menschen, die zwar eine Aufnahmezusage für Deutschland haben, aber keinen afghanischen Reisepass. Sie halten sich versteckt und fragen sich, wie lange sie diese Situation noch aushalten müssen.“
Kommentar des Patenschaftsnetzwerks Ortskräfte im Forum Migration 12/21
EuGH: Urteil pro Familienzusammenführung
Der Antrag von Eltern auf ein Visum zur Familienzusammenführung darf nicht deshalb abgelehnt werden, weil ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling vor der Entscheidung über den Antrag volljährig wurde. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Fällen aus Deutschland. Syrische Staatsangehörige beantragten in Deutschland Visa, um mit ihrem jeweiligen Sohn zusammenzuleben. Gegen die Ablehnung ihrer Anträge klagten die Betroffenen zunächst mit Erfolg in Deutschland. Die Bundesrepublik legte aber Revision beim Bundesverwaltungsgericht ein, welches den EuGH um Auslegung des europäischen Rechts bat.
NRW: Paritätischer kritisiert Landesregierung wegen mangelnder Umsetzung der Schulpflicht für geflüchtete Kinder
Die in den Landeseinrichtungen untergebrachten Geflüchteten sind in NRW faktisch von der Schulpflicht ausgenommen. Diese fielen „hinten runter, ihnen werden Bildungschancen in Schulen und Kitas systematisch verwehrt“, sagte der Landesgeschäftsführer des Paritätischen NRW, Christian Woltering. Laut NRW-Schulgesetz besteht die Schulpflicht für geflüchtete Kinder erst, sobald sie einer Gemeinde zugewiesen sind. 2021 traf das auf rund 3.100 Minderjährige zu, rund ein Fünftel von ihnen war länger als drei Monate in so einer Einrichtung. Dabei seien die Länder eigentlich verpflichtet, spätestens drei Monate nach Beginn des Asylverfahrens Unterricht zu ermöglichen, sagte Carmen Martinez, Expertin für Migration und Flucht beim Paritätischen. Zwar seien „schulnahe Bildungsangebote“ in den Einrichtungen vorgesehen, sagte sie. Teils fänden diese aber gar nicht statt, anderswo gebe es ein paar Stunden pro Woche. Mit einer richtigen Beschulung sei das nicht gleichzustellen.
Kritik der GEW: Aus für das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“
Die GEW hat die Pläne der Ampel-Koalition, das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ zu beenden, scharf kritisiert. „Auf Sonntagsreden heben die Politikerinnen und Politiker die Bedeutung der frühkindlichen Bildung hervor. Am nächsten Tag stellen sie keine Gelder mehr für hochwertige Förderprogramme bereit“, sagte Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit. Nach elf erfolgreichen Jahren bleibe bei den Kolleginnen und Kollegen in den Bildungseinrichtungen Frustration und Enttäuschung zurück. „Tausende Fachkräfte werden im Ungewissen gelassen. Sie wissen nicht, wie es mit ihrer Anstellung weitergeht.“ Siebernik warf der Bundesregierung den Bruch des Koalitionsvertrages vor. Die Koalition habe versprochen, die Bildungsausgaben zu erhöhen und das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“ weiterzuentwickeln und zu verstetigen. Nun werde indes auf das so genannte Gute-Kita-Gesetz verwiesen. „Der Bund schiebt die Verantwortung für die sprachliche Bildung als festen Bestandteil in der Kindertagesbetreuung einfach den Ländern zu. Diese sollen nun abwägen, welchen Qualitätsbaustein sie umsetzen können und was gestrichen werden muss.“
Artikel beim Mediendienst Integration
Nach Erfolg von georgischen Saisonarbeiter_innen vor Gericht: Arbeitgeber legt Berufung ein
18 Erntehelfer_innen aus Georgien haben ihren Arbeitgeber verklagt, weil dieser ihnen zu wenig Lohn ausgezahlt hatte. Im Juni hat ihnen das Arbeitsgericht Ravensburg Recht gegeben. Jetzt hat der Arbeitgeber Berufung eingelegt. Das Urteil hat nach Angaben der IG BAU eine grundlegende Bedeutung und setzt der Willkür von Arbeitgebenden in der Bezahlung von Saisonarbeitenden Grenzen. „Nicht die Saisonarbeitenden müssen im Streitfall nachweisen, dass sie ihre Arbeitskraft angeboten haben, sondern die Arbeitgebenden müssen glaubhaft darlegen, dass dies nicht der Fall war”, so die IG BAU. Der beklagte Hofbesitzer hat nun Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt. Für die Betroffenen bedeutet dies, dass sie weiter auf den vorenthaltenen Lohn warten müssen. Viele von ihnen haben bis heute nicht mehr als 300 Euro Lohn für Feldarbeit von sechs Wochen erhalten. Keine_r hat den vollständigen Lohn bekommen.
Entnommen aus Forum Migration September 2022