News Oktober 2022
Ehemaliger Vorsitzender: DGB trauert um Dieter Schulte
Mit 82 Jahren verstarb am 3. September Dieter Schulte, der den DGB als Vorsitzender von 1994 bis 2002 geführt hatte. „Er war mit Leib und Seele Gewerkschafter”, so der DGB in einer Erklärung zum Tod Schultes. „Der DGB hat ihm sehr viel zu verdanken. Unser tief empfundenes Mitgefühl gehört seiner Familie.“ Schulte hatte sich während seiner Amtszeit immer wieder für eine aktive Auseinandersetzung der Gewerkschaften mit dem Thema Migration eingesetzt. 2002 etwa kritisierte er, dass die Tatsache, dass Deutschland faktisch ein Einwanderungsland sei, bis dahin „nahezu tabuisiert“ worden sei. Es sei an der Zeit, das Thema Migration als „umfassende politische Gestaltungsaufgabe“ wahrzunehmen, so Schulte damals. In Betrieben und Verwaltungen sollten die Gewerkschaften unterstützend wirken, um Strategien gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu entwickeln. Schon früh forderte Schulte deshalb entsprechende Betriebsvereinbarungen mit der Möglichkeit arbeitsrechtlicher Sanktionen und den Aufbau von Beschwerdestellen für Antidiskriminierung und Gleichbehandlung. Diese sollten zudem feste thematische Bestandteile von Seminaren für Betriebsräte und Arbeitsrecht sein.
DGB Mitteilung zum Tod von Dieter Schulte
Baustellen: IG BAU und Beratungsstellen starten bundesweite Aktionswoche
Vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge, Betrug und Steuerhinterziehung, fingierte Zahlungen und Rechnungen: Immer wieder werden solche Fälle aus der Baubranche bekannt – den Schaden haben dabei oft die Beschäftigten, die vom einen auf den anderen Tag keinen Arbeitgeber mehr haben und Löhne teils nicht erhalten. Deshalb besuchte die IG BAU zusammen mit dem DGB Beratungsnetzwerk Faire Mobilität, dem PECO-Institut, dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen, den Beratungsstellen von Faire Integration sowie Arbeit und Leben vom 5. bis 9. September 2022 bundesweit mehr als 20 Baustellen. „Ziel ist es, mit möglichst vielen migrantischen Beschäftigten auf dem Bau in Kontakt zu treten und sie über ihre Arbeitsrechte in Deutschland zu informieren“, sagte IG BAU-Vorstandsmitglied Carsten Burckhardt. Zugleich diene die Aktionswoche dazu, die zunehmende Verbreitung von Niedriglöhnen im Baugewerbe öffentlich zu thematisieren. „Trotz anhaltenden Baubooms und trotz des aktuellen Fachkräftemangels sind sowohl deutsche als auch mobile Beschäftigte aus der EU und Drittstaaten von der Abschaffung des Branchenmindestlohns massiv betroffen. Sie werden nicht nach ihren Qualifikationen bezahlt und Tarifverträge werden nicht eingehalten.“ Burckhardt appellierte: „Wenn ihr ausgebeutet werdet, wechselt den Betrieb. Sucht euch einen tarifgebundenen Arbeitgeber! Werdet Mitglied der Gewerkschaft.“ Notwendig sei auch die Einführung einer „BauCard“, um die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und die Eingruppierung der Arbeitnehmer_innen digital zu erfassen. Zudem müssten die Subunternehmerketten auf zwei Glieder pro Gewerk begrenzt werden, um endlich „die kriminellen Machenschaften mancher Subunternehmer zu beenden“.
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IG BAU Jahresmitgliedschaft für Wanderarbeitnehmende
Urteil: LAG stärkt Rechte von Live-Ins
Pflegekräfte in einer 24-Stunden-Pflege zu Hause müssen auch während Bereitschaftszeiten mit dem Mindestlohn vergütet werden. Das entschied nun das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in einem Revisionsverfahren (AZ 21 Sa 1900/19). Eine Pflegerin aus Bulgarien, die über eine deutsche Agentur in die Betreuung einer 90-Jährigen Dame in deren Wohnung in einer Seniorenwohnanlage vermittelt worden war, hatte geklagt. Laut Arbeitsvertrag der Pflegerin sollte sie 30 Stunden wöchentlich arbeiten. Tatsächlich musste sie in der Wohnung der Seniorin übernachten, war von 6 Uhr morgens bis spätabends im Einsatz und musste sich auch nachts bereithalten. Mit ihrer Klage forderte sie eine Bezahlung für 24 Stunden täglich für mehrere Monate. „Bundesarbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben mit ihren Urteilen die Rechte hunderttausender Live-In-Betreuungskräfte in Deutschland gestärkt“, sagte dazu DGB Vorstandsmitglied Anja Piel. Die Entscheidung zeige: „Es lohnt sich zu klagen.“ Damit Betreuungskräfte den Rechtsweg nicht ausschließlich individuell und unter hohem persönlichem Risiko beschreiten können, fordert der DGB ein Verbandsklagerecht. Die Koalition sei in der Pflicht, Betreuungskräfte von vornherein vor Ausbeutung und Arbeitsrechtsverstößen zu schützen, so Piel. Sie müsse praktikable, rechtskonforme Lösungen entwickeln, die nicht-pflegerische Bedarfe abdecken – zum Beispiel Arbeiten im Haushalt und andere Unterstützung und Betreuung. Gleichzeitig bedürfe es effektiver Vorkehrungen, damit Beschäftigte nicht in rechtlich fragwürdige Anstellungsmodelle wie Scheinselbstständigkeit gedrängt werden. Piel forderte, die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs umzusetzen und Arbeitgeber zu verpflichten, ein manipulationssicheres, verlässliches und zugängliches Zeiterfassungssystem für alle Beschäftigten einzuführen. Auch Bereitschaftszeiten müssten damit lückenlos erfasst werden.
Neue Studie: Minderheitengeführte Unternehmen in Europa erwirtschaften Milliarden
Der Impfstoffhersteller BioNTech mit seinen Gründern Özlem Türeci und Uğur Şahin ist sicher eines der bekanntesten, aber nur eines von vielen Unternehmen, die von Minderheitenangehörigen geführt werden, erwirtschaften in Europa einen Umsatz von mindestens 570 Milliarden Euro. Das ergab eine Studie des Open Political Economy Network. Als Minderheiten definiert die Studie nicht-europäische, nicht-weiße Migrant_innen und deren Nachfahren. Demnach werden rund 800.000 oder 4,7 Prozent aller Unternehmen in Europa von Angehörigen dieser Gruppen geführt. Diese beschäftigen insgesamt rund 2,7 Millionen Menschen. Auf Deutschland entfällt mit 191 Milliarden Euro der größte Anteil des Umsatzes, gefolgt von Frankreich mit 120 Milliarden Euro und den Niederlanden mit mindestens 88 Milliarden Euro. Zu den größten deutschen Unternehmen gehört neben BioNTech beispielsweise der in Berlin ansässige Lebensmittellieferdienst Gorillas. 42 Prozent der Manager_innen in Deutschland sind türkischstämmig, 10 Prozent stammen aus dem Iran und 8,3 Prozent aus China. Nur 18,7 Prozent sind weiblich. Wer nicht weiß und nicht europäischer Abstammung ist, stehe vor großen Herausforderungen, die zu denen hinzukommen, die alle Unternehmer_innen zu bewältigen haben, heißt es in der Studie. „Sie werden häufig aufgrund ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert und sind in der Regel von den üblichen Unternehmensnetzwerken abgekoppelt, so dass es ihnen an Kontakten, Verträgen und Kapital fehlt.“
Integrationsbeauftragte: Ukrainer-Aufnahme „Blaupause“
Die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine ist eine „Blaupause“ für die künftige Aufnahme Geflüchteter in Deutschland. Das sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Wir haben in Deutschland gesehen, wie gut es funktioniert, wenn wir auf schnelle Klarheit beim Aufenthalt und auf Integration von Anfang an setzen“, so Alabali-Radovan. „Das sollten wir auch künftig tun.“
„Du wirst scheitern“ – Österreich startet Kampagne gegen irreguläre Migration in Herkunfts- und Transitländern
„Du kannst nicht bleiben“; „Es gibt kein Durchkommen“ oder auch „Illegale Migration: Du wirst scheitern“ – das sind Slogans einer neuen Kampagne der österreichischen Regierung. Die Plakate werden in acht Herkunfts- und Transitländern wie Marokko, Tunesien, Indien und Serbien auf sozialen Medien geschaltet, kündigte Innenminister Gerhard Karner an. Die Regierung wolle mit der Kampagne potenzielle „Wirtschaftsmigrant_innen“ abschrecken und Schlepperei bekämpfen. Österreichs Asylwesen sei „fast an der Belastungsgrenze“. Von Januar bis Juli wurden knapp 42.000 Asylanträge gestellt. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl sind das etwa viermal so viele wie im gleichen Zeitraum in Deutschland.
Entnommen aus Forum Migration Oktober 2022