News Oktober 2021
Erfolg: Ausweisungsverfahren gegen die ver.di-Gewerkschafterin Banu Büyükavci ruht
Die Psychiaterin und ver.di-Gewerkschafterin Banu Büyükavci darf vorerst in Deutschland bleiben. Das bei der Ausländerbehörde Nürnberg anhängige Ausweisungsverfahren (siehe auch Forum Migration 03/21) ist „ruhend gestellt“. Zu 33 Solidaritäts-Kundgebungen hatten Kolleg_innen von ver.di seit Dezember 2020 mobilisiert und unzählige Gespräche mit Funktionsträger_innen geführt. Ende August sicherte die Stadt Nürnberg zu, Büyükavci nicht auszuweisen, solange eine anhängige Strafsache nicht entschieden sei. Büyükavci soll der türkischen kommunistischen Organisation TKP/ML angehören, die durch die Türkei als terroristisch gilt. Eine Verfolgung durch deutsche Behörden wurde möglich, da das deutsche Justizministerium hierzu die Erlaubnis gegeben hatte, obwohl die TKP/ML hierzulande nicht als terroristisch eingestuft ist. Eine konkrete Straftat war Büyükavci nie vorgehalten worden. „Nach unserer Verfolgung als Kommunisten in der Türkei hatte ich meine erste Heimat verloren. In Deutschland habe ich eine zweite Heimat und viele Freunde gefunden. Es wäre schrecklich gewesen, auch diese zu verlieren. Ohne die vielen Menschen, die sich für mich eingesetzt hatten, wäre das wohl passiert“, sagt Büyükavci. ver.di-Gewerkschaftssekretär Ulli Schneeweiß, der die Kampagne koordiniert, glaubt, dass auch nach Abschluss des Strafverfahrens vor dem Bundesgerichtshof das Ausweisungs-Verfahren nicht erneut aufgenommen werden wird: „Egal, wie der BGH in vielen Monaten oder gar Jahren entscheiden wird: Banu gefährdet weder jetzt, noch in Zukunft die BRD – je länger sie unbescholten hier lebt, umso mehr muss das auch jedem Hardliner in der Verwaltung klar werden.“
Pflegekräfte aus dem Ausland:
Bundesagentur für Arbeit unterzeichnet Vermittlungsabsprache mit Indonesien
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat mit dem staatlichen Migrant Workers Protection Board der Republik Indonesien die erste Vermittlungsabsprache nach dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz unterzeichnet. Sie schafft die Grundlage für die Rekrutierung und Vermittlung von indonesischen Pflegekräften für Krankenhäuser, Kliniken und Pflegeeinrichtungen in Deutschland durch die Bundesagentur. Die Einreise für teilnehmende Pflegekräfte wird erleichtert, die Anerkennung ihres ausländischen Berufsabschlusses muss erst nach der Ankunft in Deutschland eingeleitet werden. Die Rekrutierung der ersten Pflegekräfte soll noch 2021 beginnen. Die Pflegekräfte werden nach der Auswahl mehrere Monate in ihrem Heimatland sprachlich und fachlich auf ihre Tätigkeit in Deutschland vorbereitet. Die Vermittlungsabsprache für indonesische Pflegekräfte steht auf Wunsch Indonesiens nur Rekrutierungen unter Beteiligung der BA offen und ermöglicht keine Nutzung durch private Vermittlungsfirmen. Die Absprache sei „ein Meilenstein, um das Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit Leben zu füllen“, sagte Daniel Terzenbach, Vorstand Regionen der Bundesagentur. Diese will weitere solcher Absprachen folgen lassen. Das am 1. März 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz erlaubt es der BA, mit Drittstaaten Vermittlungsabsprachen über die beschleunigte Rekrutierung und Vermittlung von Fachkräften abzuschließen.
Arbeitsagentur-Chef: Deutschland braucht 400.000 Zuwandernde pro Jahr
Deutschland braucht aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, rund 400.000 Zuwandernde pro Jahr – und damit deutlich mehr als in den vergangenen Jahren gekommen sind. Ihm gehe es um „gezielte Zuwanderung für die Lücken am Arbeitsmarkt“, sagte Scheele der Süddeutschen Zeitung. „Von der Pflege über Klimatechniker bis zu Logistikern und Akademikerinnen: Es werden überall Fachkräfte fehlen.“ Zu möglichen Widerständen gegen Migration sagte er: „Man kann sich hinstellen und sagen: Wir möchten keine Ausländer. Aber das funktioniert nicht.“ Fakt sei, dass Deutschland die Arbeitskräfte ausgehen. Durch die demografische Entwicklung nehme die Zahl der potenziellen Arbeitskräfte im typischen Berufsalter bereits in diesem Jahr um fast 150.000 ab. „In den nächsten Jahren wird es viel dramatischer“, sagte Scheele. Die Corona-Krise habe das Problem zu geringer Zuwanderung von Fachkräften derweil noch verschärft: So ist im vergangenen Jahr die Zahl der Neuanträge auf Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse bei den deutschen Behörden um 3 Prozent auf 42.000 gesunken, wie das Statistische Bundesamt berichtete. Der DGB verlangte bundeseinheitliche, verlässlichere und schnellere Verfahren zur Anerkennung. Der Wechsel aus dem Status der Duldung oder einem humanitären Aufenthalt in eine dauerhafte Perspektive mit fester Arbeitsstelle müsse leichter werden, forderte DGB Vorstandsmitglied Anja Piel. „Insbesondere zugewanderte Frauen müssen beim Schritt ins Erwerbsleben unterstützt werden, um das inländische Potenzial an Fachkräften voll auszuschöpfen“, so Piel.
Kirche: Afghan_innen wurden mit Integrationshindernissen überzogen
Der kirchliche Integrationsexperte Stephan Theo Reichel wirft den deutschen Behörden Versagen im Umgang mit afghanischen Geflüchteten vor. Den Schutzsuchenden sei bewusst nur 40 Prozent der Erstanerkennung gegeben worden, sagte Reichel laut Evangelischem Pressedienst der Wochenzeitung ,Die Kirche‘. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ignoriere, dass Gerichte über 60 Prozent der Negativbescheide zu Afghanistan aufhöben. Hintergrund ist unter anderem, dass oft erst ab einer Anerkennungsquote von 50 Prozent je Herkunftsland Anspruch auf Teilnahme an Integrationskursen besteht. Die Afghan_innen seien in Deutschland mit Integrationshindernissen, Ausbildungs- und Arbeitsverboten überzogen worden, so Reichel. „Es wurde abgeschoben gegen besseres Wissen über die Sicherheitslage.“ Das Versagen gegenüber den afghanischen Flüchtlingen sollte jetzt Anlass sein, die gesamte Flüchtlingspolitik zu überdenken, forderte er.
Versorgung Asylsuchender: Psychosoziale Zentren fordern Bekenntnis der nächsten Bundesregierung
Die Asylrechtsverschärfungen in der Regierungszeit von Angela Merkels führten zu traumatisierenden Abschiebungen und mangelnder Gesundheitsversorgung von Geflüchteten. Das kritisiert Lukas Welz, Geschäftsführer der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF). Nach einer „Welle der Solidarität“ ab 2015 sei das deutsche Asylrecht durch das Asylpaket II von 2016 und das so genannte Geordnete-Rückkehr-Gesetz von 2019 deutlich verschärft und zivilgesellschaftliche Akteure mit der Versorgung und Betreuung Überlebender von Folter, Krieg und Flucht allein gelassen worden. Deutschland könne seine eigenen humanitären Verpflichtungen nicht erfüllen, so die BAfF. Die psychosozialen Zentren in Deutschland hätten im Jahr 2018 mehr als 22.000 Klient_innen behandelt, der Bedarf lag allerdings weitaus höher. 7.000 Menschen hätten aus Kapazitätsgründen nicht behandelt werden können. Durch die aktuelle Gesetzeslage biete das deutsche Asylsystem Geflüchteten nicht jenen Schutz und Versorgung, zu denen sich Deutschland selbst verpflichtet hat. Geflüchtete müssten im Asylverfahren durch ein Attest belegen, dass sie schwer erkrankt oder traumatisiert sind. Die häufig unerfüllbaren Anforderungen an diese Atteste stellten eine erhebliche Gefahr für die psychische Gesundheit dar und führten im schlimmsten Fall zur Abschiebung trotz Krankheit. Zudem fehle es an einem gesetzlichen Anspruch auf Sprachmittlung in der Gesundheitsversorgung. „Die nächste Bundesregierung muss einen Anspruch auf Sprachmittlung gesetzlich verankern. Kranke und traumatisierte Geflüchtete dürfen nicht abgeschoben werden“, sagte Welz. „Die Asylrechtsänderungen müssen zurückgenommen werden, um den vollen Schutz und gleiche Rechte für alle Menschen in Deutschland sicherzustellen.“
Entnommen aus Forum Migration Oktober 2021