News Februar 2021
ver.di: Protest gegen Abschiebung türkischer Ärztin aus Bayern, der lebenslange Haft droht
Seit Dezember protestieren in Nürnberg Gewerkschafter_innen gegen die drohende Abschiebung von Banu Büyükavci. Die promovierte Psychiaterin arbeitet seit 2012 in einer Nürnberger Klinik und hat eine Niederlassungserlaubnis. Nach über zehn Jahren Aufenthalt wurde sie 2015 für mehr als 3 Jahre in U-Haft genommen, weil sie der linksradikalen türkischen Partei TKP/ML angehört. Die ist in Deutschland nicht verboten – in der Türkei aber gilt sie seit 2007 als Terrororganisation. Der türkische Staat wirft ihr bewaffnete Anschläge auf Polizei- und Militäreinrichtungen vor. Das reicht für eine Anklage nach dem deutschen Paragraphen 129b, nach dem bestraft wird, wer Mitglied einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung ist, auch wenn diese im Ausland tätig ist. Auf dieser Grundlage wurde Büyükavci im Sommer 2020 in Nürnberg zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Die hat sie mit der U-Haft bereits abgesessen. Trotzdem soll sie nun in die Türkei ausgewiesen werden. Dort droht ihr lebenslange Haft. Ihre Kolleg_innen versuchen dies zu verhindern: „Wir stehen hinter Banu, denn Banu gehört zu uns, sagt Charly Johnson, Vorsitzende des ver.di-Landesmigrationsausschusses Bayern.
Populismus-Studie: Wer zurückbleibt, wählt AfD
Je stärker eine Region in Deutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten von Abwanderung betroffen war, umso besser schneidet dort heute die AfD bei Wahlen ab. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM). Der Zusammenhang zwischen Abwanderung und AfD-Wahlergebnissen bestehe unabhängig von anderen Faktoren wie Bevölkerungsdichte, Bruttoinlandsprodukt pro Kopf oder Arbeitslosenquote und ist in Westdeutschland sogar noch etwas stärker ausgeprägt als in Ostdeutschland, heißt es darin. „Dieses Ergebnis legt nahe, dass die Stärke der AfD auch mit den Verlustgefühlen der Zurückgebliebenen zu tun hat, die vor Ort die Folgen einer Ausdünnung der sozialen Infrastruktur spüren“, sagt MIDEM-Direktor Hans Vorländer.
Ab jetzt staatlich: SVR Migration wird vom BMI finanziert
Der bisher von acht Stiftungen getragene Sachverständigenrat für Integration und Migration wird ein staatlich finanziertes Beratungsgremium der Bundesregierung. Das Bundesinnenministerium fördert seit Januar 2021 das Expertengremium mit zunächst zwei Millionen Euro. Ein Kabinettsbeschluss soll sicherstellen, dass der Sachverständigenrat auch künftig unabhängig arbeiten könne. „Nur ein unabhängiger Rat sei ein guter Ratgeber”, sagte Innen-Staatssekretär Markus Kerber dazu dem Evangelischen Pressedienst. Der Sachverständigenrat ist das fünfte Expertengremium, das per Gesetz oder von der Regierung berufen wird und Bund, Länder und Kommunen beraten soll.
EU-Grenzschutzagentur: Heftige Kritik an Frontex wegen illegaler Zurückschiebungen
Seit Jahren ist bekannt, dass die griechische Polizei illegal und teils mit brutaler Gewalt Flüchtlinge in großer Zahl über die Land- und Seegrenze ohne Asylverfahren zurück in die Türkei schickt. Seit dem Frühjahr 2020 zeichnete sich ab, dass dies von der EU-Grenzschutzagentur Frontex nicht nur stillschweigend akzeptiert wurde. Nachdem der Spiegel und andere Medien im Oktober 2020 entsprechende Recherchen veröffentlichten, spricht Frontex nun davon, dass fünf Fälle einer möglichen Verwicklung in das illegale Zurückweisen von Migrant_innen in der Ägäis „nur unzureichend aufgeklärt“ worden seien. Der Frontex-Verwaltungsrat sei „sehr beunruhigt“ darüber, dass die Agentur es in drei dieser Fälle versäumt habe, der Arbeitsgruppe rechtzeitig Informationen zukommen zu lassen. Eine interne Arbeitsgruppe von Frontex hatte insgesamt 13 so genannter Pushbacks untersucht. Frontex-Direktor Leggeri hatte Anfang Dezember 2020 im Innenausschuss des EU-Parlaments behauptet, es gebe keine Beweise dafür, dass Frontex-Personal aktiv, direkt oder indirekt an den so genannten Pushbacks beteiligt gewesen seien. Etliche Abgeordnete fordern seinen Rücktritt.
Asyl: Antragszahlen 2020 drastisch gesunken
2020 wurden in Deutschland 122.170 Erst- oder Folgeanträge auf Asyl gestellt. Das waren rund 26 Prozent weniger als im Vorjahr und der niedrigste Wert seit 2012. Pro Asyl weist darauf hin, dass 26.520 Asylanträge davon auf hier geborene Kinder entfielen. Die Zahl der „grenzüberschreitenden Asylanträge“, also tatsächlich neu eingereister Schutzsuchender lag demnach bei nur 76.061 – ein Rückgang um 31,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die geringen Zugangszahlen nach Deutschland seien eine Folge der „rigorosen Abschottung Europas“, so Pro Asyl. Die griechisch-türkische Landgrenze, die ungarische und die kroatische EU-Außengrenzen würden systematisch abgeriegelt. „Schutzsuchende sitzen in Bosnien im Elend und Winter unter Lebensgefahr fest, ohne die Perspektive auf Schutz. In ähnlicher Weise wird die Seegrenze von Griechenland zur Türkei abgeriegelt, auch hier sinken die Zugangszahlen dramatisch.” Dass Innenminister Seehofer behaupte, Deutschland sei „auf dem richtigen Weg” sei angesichts der Entrechtung Geflüchteter an den europäischen. Außengrenzen „zynisch“, so Pro Asyl.
Öffentlicher Dienst: Giffey gegen Diversity-Quote
Die linke Berliner Integrationssenatorin Elke Breitenbach hatte Mitte Januar angekündigt, eine Quote von 35 Prozent für Migrant_innen bei allen Neueinstellungen einführen zu wollen. Für den öffentlichen Dienst soll dazu das Merkmal „Migrationshintergrund“ – ähnlich wie bislang „Frau“ oder „Schwerbehinderter“ – als so genanntes positives Einstellungsmerkmal hinterlegt werden. Schon im Auswahlverfahren sollen Migrant_innen dann entsprechend ihres Anteils an der Bevölkerung eingeladen werden müssen, solange die Bewerberinnen und Bewerber ausreichend für die Stelle qualifiziert sind. Öffentliche Stellen müssten künftig aktiv darauf hinwirken, mindestens 35 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund als Mitarbeiter_innen zu haben – so hoch wird der entsprechende Anteil an der Gesamtbevölkerung Berlins geschätzt (Forum Migration 11/2020). Derzeit haben rund 12 Prozent aller Verwaltungsmitarbeiter_innen in Berlin Migrationshintergrund. Es wäre die bundesweit erste Regelung dieser Art. Doch die SPD-geführte Senatsverwaltung für Inneres sperrt sich: Man stehe hinter dem Ziel, aber nicht hinter der nun bekannt gewordenen Fassung des Gesetzentwurfs, hieß es gegenüber dem Spiegel. SPD-Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) lehnt die verbindliche Quote für Menschen mit ausländischen Wurzeln ab. Giffey sagte laut dem EPD, wichtiger seien in diesem Bereich Rollenvorbilder sowie Förderung etwa mit so genannten Buddy-Programmen. Auch in den Bundesbehörden haben derzeit rund zwölf Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund, während der Anteil in der Gesamtbevölkerung bei über 25 Prozent liegt.