News August 2020
Festanstellungen: Baut Tönnies Hintertür gegen Betriebsräte ein?
Während die Bundesregierung das Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie ab 2021 vorbereitet, darf der Schlachtkonzern Tönnies den Betrieb wieder aufnehmen. Die Behörden hatten das Tönnies-Werk neben der Firmenzentrale in Rheda-Wiedenbrück (NRW) nach einem Corona-Ausbruch Mitte Juni vorübergehend stillgelegt. In der Zerlegung dort waren die meisten der insgesamt über 1.400 Corona-infizierten Tönnies-Mitarbeiter_innen tätig. Für die Bewohner_innen der Kreise Gütersloh und Warendorf galten danach verschärfte Hygieneregeln und Kontaktbeschränkungen, betroffen waren über 600.000 Menschen. Die Quarantäne-Regelung für die Mitarbeiter_innen lief am 17. Juli aus. Etwa zeitgleich durfte der Konzern in dem Werk mit zunächst einer Schicht wieder rund 10.000 Schweine am Tag zerlegen – angeblich mit einem „neuen Hygienekonzept”. Am 20. Juli lagen nach Zahlen der DPA noch sechs infizierte Tönnies-Mitarbeiter_innen in Krankenhäusern. Drei Betroffene wurden auf Intensivstationen betreut, zwei Patienten mussten demnach beatmet werden. Der Konzern kündigte an, zunächst 1.000 bisherige Werkvertragsbeschäftigte direkt einzustellen. Bis Ende des Jahres sollen alle Mitarbeiter in den Kernbereichen des Unternehmens feste Arbeitsverträge bekommen. Dazu ließ Tönnies im Juli etwa 15 neue Tochterunternehmen ins Handelsregister eintragen. Die Gewerkschaft NGG sieht dies kritisch. Armin Wiese, zuständig für die Region Detmold-Paderborn, glaubt, dass durch die Gründung der zahlreichen Untergesellschaften Gründung von Betriebsräten erschwert werden solle. „Tönnies könnte die neuen Mitarbeiter auch direkt in seiner Hauptgesellschaft einstellen“, sagte Wiese dem lokalen Nachrichtenportal „Die Glocke“.
Immer weniger Kirchenasyl – Seehofer freut sich
Die Zahl der Kirchenasyle ist 2019 zurückgegangen. Das geht aus einem Papier des Bundesinnenministeriums hervor, über das die Welt berichtete. Im Schnitt wurden 53 Fälle pro Monat den Behörden gemeldet, im Vorjahr waren es noch 68 Fälle. Dieser Rückgang sei „zu begrüßen“, stellte das Ministerium laut Welt in dem Papier fest. Die Verweildauer der Asylbewerber_innen in den Kirchengemeinden sehe das Haus von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dagegen dem Bericht zufolge kritisch. Asylbewerber_innen müssten das Kirchenasyl eigentlich innerhalb von drei Tagen verlassen, nachdem sie als Härtefall einen Ablehnungsbescheid erhalten hätten. „Dies geschah in den letzten Jahren nicht“, zitierte die Welt aus dem Bericht. Seit August 2018 sind Kirchengemeinden verpflichtet, für jeden Kirchenasylfall ein so genanntes Härtefalldossier beim BAMF einzureichen. Stellt die Behörde daraufhin keine besondere Härte fest, muss die Gemeinde das Kirchenasyl in kurzer Frist beenden und der Geflüchtete ausreisen. Der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Prälat Martin Dutzmann, sagte der Welt: „Der Beschluss der Innenministerkonferenz vom 7. Juni 2018 widerspricht der aktuellen Rechtsprechung.“ Zudem seien viele Gemeinden frustriert, dass die Fälle in der Regel negativ entschieden würden. Beispielsweise würden ärztliche Atteste bisweilen nicht berücksichtigt, weil sie formalen Anforderungen nicht genügten.
Verband: Wegen Corona Ziel der Integrationskurse in Gefahr
Der Berufsverband für Integrationskurse warnt davor, dass viele Zuwanderer_innen in den Integrationssprachkursen das Sprachziel durch coronabedingte Ausfälle nicht erreichen könnten. Das berichtet der Evangelische Pressedienst. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollte deshalb für alle Teilnehmer_innen, die es benötigten, 100 zusätzliche Unterrichtseinheiten bewilligen und finanzieren, sagte die Geschäftsführerin des Verbandes Christiane Carstensen. Außerdem sollte der Aufwand für Anträge auf Wiederholung deutlich reduziert werden. In den vom BAMF geförderten Kursen haben die Teilnehmer nach Angaben des Verbandes einen Anspruch auf 600 Unterrichtseinheiten. Wer nach dem Integrationskurs das Sprachziel B1 nicht erreicht, kann einen Wiederholerantrag auf 300 weitere Stunden stellen. Auch für diese Kurse sollte es ein „Corona-Modul“ von zusätzlich 100 Einheiten geben, so Carstensen.
Studie: EU-geförderte Rückkehrprogramme in Afrika verletzen Menschenrechte
Bei Rückkehrprogrammen für Flüchtlinge und Migrant_innen aus Libyen in ihre Herkunftsländer kommt es laut einer Studie zu teilweise erheblichen Verstößen gegen humanitäre und menschenrechtliche Prinzipien. Die Teilnahme an den Programmen erfolge teils unter erheblichem Druck, heißt es in der Studie im Auftrag der Hilfsorganisationen Brot für die Welt und medico international. Den Rückkehrer_innen würden zudem nach ihrer Rückführung neue Gefahren drohen. Für die Studie wurden Rückkehrer aus Libyen, Migrant_innen in Niger und Mali sowie zahlreiche Vertreter_innen internationaler Organisationen und staatlicher Stellen befragt. Demnach wurde auf die Flüchtlinge „teils erheblicher physischer und psychischer Druck“ ausgeübt, damit sie ihrer Rückführung zustimmen. Befragte hätten berichtet, einer Rückführung erst „nach schweren Menschenrechtsverletzungen und lebensbedrohlichen Abschiebungen in die Wüste“ zugestimmt zu haben. Angesichts der drohenden Folter und Gewalt in Libyen sei eine Rückkehr für viele das „kleinere Übel“.
Studie „Notfallrückführungen der IOM aus Libyen und Niger – Eine Schutzmaßnahme oder Ursache neuer Schutzbelange?” https://bit.ly/2OJtgLg
24h-Schichten: Nonstop-Pflege vor Gericht
Das Landesarbeitsgericht Berlin verhandelt über den Fall einer 69-jährigen Bulgarin, die als häusliche Pflegekraft 24 Stunden pro Tag im Einsatz war. Dabei hatte sie eine Seniorin versorgt, mit der sie im gleichen Haushalt lebte. Bezahlt wurden der bei einer bulgarischen Zeitarbeitsfirma angestellten Pflegekraft aber nur 30 Stunden pro Woche – so, wie es in ihrem Arbeitsvertrag vorgesehen war. Dieses Modell ist typisch für die Beschäftigungsbedingungen meist osteuropäischer privater Pflegekräfte. Die Bulgarin hatte mit Hilfe des DGB Projekts „Faire Mobilität“ auf Nachzahlung von 45.000 Euro für die tatsächlich geleistete Arbeitszeit geklagt. Wie die „taz“ berichtete, wolle die Richterin einen Vergleich vorschlagen. Gleichwohl könne die Entscheidung des Gerichts ein Geschäftsmodell „in Gefahr bringen, das vor allem auf der Ausbeutung von Frauen aus osteuropäischen Ländern beruht“, sagte Justyna Oblacewicz vom Projekt „Faire Mobilität“ der taz. Tausende weitere Betreuerinnen aus den Haushalten könnten versuchen, sich eine Lohnnachzahlung zu erstreiten. „Ich hoffe, dass noch viel mehr Frauen klagen“, sagt Oblacewicz.