
Neuer Atlas: Sklaverei im Dunkelfeld
Es sind fast so viele, wie es Beschäftigte in Deutschland gibt: Mindestens 40 Millionen Menschen sind weltweit aktuell von „moderner Sklaverei“ betroffen. Das zeigt der neue „Atlas der Versklavung“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS).
„Wenn wir an Sklaverei denken, sehen wir in Ketten gelegte Menschen, die aus Afrika gewaltsam in alle Welt verschifft werden“, heißt es im Vorwort des 60-seitigen Bandes, den die RLS kostenlos zum Download anbietet. „Nur selten verbinden wir die Sklaverei mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Gegenwart.“ Das sei ein Fehler: „Ein Merkmal der kapitalistischen Weltwirtschaft ist der Einsatz von Zwangsarbeit in den globalen Lieferketten“, schreiben die Autor_innen Genevieve LeBaron und Ellie Gore in einem Beitrag. So komme Sklaverei unerkannt bei der konsumfreudigen Kundschaft der Importländer an.
Sowohl Staaten als auch Unternehmen trügen deshalb die Verantwortung dafür – etwa durch fehlenden Sozialschutz, mangelnde Regulierung und die Nachfrage nach Billigprodukten. Sklaverei bleibe für die Exportindustrie profitabel. Denn die Wertschöpfung, die durch Zwangs- und Kinderarbeit entsteht, sei vielerorts überdurchschnittlich hoch. Zwangsarbeit sei indes keine feststehende oder begrenzte, sondern eine „durchlässige und fließende Kategorie“, so die Autor_innen weiter. So wechselten Arbeitskräfte oft innerhalb relativ kurzer Zeiträume zwischen Zwangsarbeit und weniger gravierenden Formen der Arbeitsausbeutung hin und her. Klar sei: Sklaverei finde „häufig in einem Umfeld statt, in dem unfaire Behandlung und niedrige Löhne“ sowie „missbräuchliche Praktiken wie sexuelle Belästigung, verbale Angriffe und unrechtmäßige Lohnabzüge“ verbreitet seien.
Wie schwer es ist, dagegen vorzugehen, zeigt ein Beitrag von Sandrine Kott über das 2011 verabschiedete ILO-Übereinkommen über Hausangestellte. Bis 2021 hatten es erst 35 Staaten ratifiziert – und es gebe keine Garantie, dass die Staaten die Regeln auch umsetzen. Es sei „vor allem die Mobilisierung der Gewerkschaften der Hausangestellten“, die das Übereinkommen „zu einem wirkungsvollen Instrument im Kampf gegen die moderne Sklaverei machen konnte“, so Kott.
Insgesamt ist das Feld dunkel, die ILO-Daten lückenhaft. Nur etwa 0,2 Prozent der weltweiten Fälle von Sklaverei würden untersucht und strafrechtlich verfolgt, so der Atlas. Das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung erfasst 534 verschiedene Routen des Menschenhandels. Mehr als 120 Länder gaben an, Betroffene aus über 140 verschiedenen Herkunftsländern entdeckt zu haben. Und während etwa mit Zwangsarbeit jährlich schätzungsweise 150 Milliarden US-Dollar Gewinn erwirtschaftet würden, geben die OECD-Länder im gleichen Zeitraum nur 0,08 Prozent dieses Betrags für die Bekämpfung der Sklaverei aus.
Wie klein der Ausschnitt ist, der behördlich erfasst wird, zeigt auch das neue Lagebild „Menschenhandel und Ausbeutung 2020“ des Bundeskriminalamtes. Demnach gab es im vergangenen Jahr bundesweit 465 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels und Ausbeutung, ein Anstieg um 22,7 Prozent. Auf den Deliktsbereich sexuelle Ausbeutung entfielen 291 Verfahren, ein Plus von 1,4 Prozent. Im Bereich Arbeitsausbeutung wurden 22 Verfahren eingeleitet – und schon diese äußert geringe Zahl machte ein Plus von 57 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus.
Atlas der Sklaverei
Lagebild BKA Menschenhandel
Entnommen aus Forum Migration Dezember 2021