
LKW-Fahrer_innen: Schutzlos in der Pandemie
Forum Migration: Herr Wahl, Sie beklagen, dass sich die Situation von LKW-Fahrer_innen seit Beginn der Corona-Pandemie nicht verbessert hat. Was bedeutet das konkret?
Michael Wahl, Faire Mobilität: Die meist aus Osteuropa stammenden Fahrer haben wegen flächendeckender Missachtung ihrer Rechte kaum Möglichkeiten, Hygienemaßnahmen einzuhalten oder lange Ruhepausen wie vorgeschrieben außerhalb ihres LKW zu verbringen. Wir beobachten, dass Fahrer_innen teils wochen- oder gar monatelang unterwegs sind. Der Zugang zu sanitären Einrichtungen ist für sie dabei oft eine Katastrophe. Und mit Verweis auf die Pandemie wurden vielen die Spesen gekürzt. So werden die Fahrer_innen um den Mindestlohn betrogen.
Wie funktioniert das genau?
Die Entsende-Richtlinie gilt natürlich auch für den Transportsektor. Das bedeutet, dass in Deutschland eingesetzte Fahrer_innen für ihre Zeit unter anderem den hier geltenden Mindestlohn bekommen müssten. Vor allem osteuropäische Speditionen zahlen den ebenfalls osteuropäischen Fahrer_innen jedoch oft nur einen Grundlohn von 300 bis 600 Euro. Der Rest wird als Spesen ausgezahlt. Dabei wird so getan, als ob so der Mindestlohn erreicht würde. Das ist aber illegal. Die Spesen bräuchten die Fahrer eigentlich für Essen, Duschen, Übernachtungen. Sie müssen es aber sparen, weil sie sonst nicht genug verdienen. Teils stehen 80 LKW auf Raststätten mit nur drei Duschkabinen – sofern diese überhaupt geöffnet sind. Das „Mobility Package” der EU hat an alldem leider gar nichts geändert.
Welche Rolle spielt dabei Corona?
Seit Beginn der Pandemie werden immer neue Ausnahmen gemacht, um den Arbeitgebern entgegenzukommen und den Warenverkehr am Laufen zu halten. Corona-Schutzmaßnahmen für die Fahrer gibt es aber praktisch keine. Nur ein Beispiel: Die Anlagen des Sanifair-Netzwerks auf den Raststätten waren zu Beginn der Pandemie für ein paar Wochen gratis zugänglich. Seither muss wieder zahlen, wer sich dort die Hände waschen will. Die LKW-Fahrer_innen sind darauf oft über lange Zeit angewiesen, können sich das aber nicht leisten. In den Logistikstandorten steht ein bisschen Desinfektionsmittel bereit, aber selbst dort ist es für die Fahrer_innen schwierig, sich die Hände zu waschen. Alle Tricksereien, die wir vor der Pandemie und dem „Mobility Package” der EU gesehen haben, setzen sich weiter fort. Es ist genau wie in der Fleischindustrie: Das Recht wird gebrochen und zwar nonstop.
Warum ist es so schwierig, dagegen vorzugehen?
Der Zoll müsste all diese Verstöße aufdecken und ahnden. Das geschieht aber nicht und es ist mir ein Rätsel, weshalb. Hinzu kommt, dass osteuropäische Spediteure zunehmend Fahrer_innen aus Ländern außerhalb der EU, etwa Kasachstan oder der Ukraine einstellen. Die sind erstmal froh, wenn sie 60 Euro am Tag bekommen und wissen so gut wie nichts über ihre Rechte. Wenn sie versuchen würden, diese einzufordern, wird ihnen sofort gekündigt – und dann ist das EU-Arbeitsvisum automatisch weg, denn das ist an einen konkreten Arbeitsvertrag geknüpft.
Michael Wahl ist Mitarbeiter der Beratungsstelle Faire Mobilität in Berlin: https://www.faire-mobilitaet.de