
Häusliche Pflege: Niemals nonstop
Mit dem Versprechen von „24-Stunden-Pflege” bieten Arbeitsvermittler vor allem Frauen aus Osteuropa als so genannte „Live-Ins” zur häuslichen Altenpflege an. In der von irregulärer Beschäftigung dominierten Branche sind die Arbeitsbedingungen von überlangen Arbeitszeiten und unvergüteten Bereitschaftsdiensten gekennzeichnet. Einige Vermittlungsagenturen haben freiwillige Maßnahmen der Selbstregulierung eingeführt. Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat untersucht, inwiefern man die Arbeitszeit verkürzen kann.
Expert_innen gehen von zwischen 300.000 und 600.000 Pflegekräften in der Live-In-Pflege in Deutschland aus. Damit leisten diese selbst bei niedriger Schätzung ein Viertel der bezahlten Pflegearbeit in Deutschland. Ihr Aufgabenbereich umfasst verschiedene Tätigkeiten in den Bereichen Hauswirtschaft, Pflege und Betreuung. Während die meisten Live-Ins sich in einem Abstand von zwei bis drei Monaten mit einer anderen Pflegekraft aus dem Heimatland abwechseln, sind andere – abgesehen von Urlaubszeiten – kontinuierlich in einem deutschen Haushalt beschäftigt. Zentrales Problem dabei sind oft exzessive Arbeitszeiten. Untersuchungen zufolge liegen diese im Schnitt bei 69 Stunden pro Woche für Pflegearbeit, Hauswirtschaft und Betreuung. Zudem bestehe in der „24-Stunden-Pflege“ oft „eine Erwartung permanenter Verfügbarkeit”, so die Studie der HBS. Vor allem die gemeinsame Wohnsituation führe zu einer starken Entgrenzung der Arbeitszeit, weshalb die gesetzliche Höchstarbeitszeit deutlich überschritten werde. Zudem fehlten oftmals klare Regelungen zu freier Zeit und Urlaubszeit. Ausgehend von diesen Bedingungen untersuchten die Forscher_innen nun Vermittlungsagenturen, die eigenständig Maßnahmen dagegen zu ergreifen versucht hatten. Manche führen zur Begrenzung der Arbeitszeit Aufklärungsgespräche mit den Pflegehaushalten oder bemühen sich um korrekte Bedarfserhebung vor dem Arbeitseinsatz. Teils beziehen sie weitere Akteur_innen im Rahmen eines „Pflegemixes” ein, um die Live-Ins zu entlasten. Zudem bieten sie Ansprechpartner_innen vor Ort und/oder im Herkunftsland für die Live-Ins an, die im Konfliktfall aktiv werden. Doch die Wirksamkeit dieser Maßnahmen, so die HBS-Forscher_innen, ist begrenzt. Es „erweist sich als besonders problematisch, dass die Agenturen uneinheitliche und widersprüchliche Verständnisse von Arbeitszeit aufweisen”, schreiben sie. Zwar distanzierten die Agenturen sich vom Begriff der 24-Stunden-Pflege, führen jedoch „teilweise die Erwartung einer kontinuierlichen Anwesenheit selbst fort”. Die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitszeit werde bei allen Agenturen bei der Live-In verortet, was der europäischen und innerstaatlichen Rechtslage widerspricht.
Böckler-Studie zu Arbeitszeit in der Pflege
Entnommen aus Forum Migration Juli 2022