Girls‘ und Boys‘ Day in Zeiten der Corona Krise
Der diesjährige Girls‘ und Boys‘ Day findet nicht in einem Umfang statt, wie sich das die Unternehmen, die Bildungseinrichtungen und vor allem die Mädchen und Jungen vorgestellt oder gewünscht haben. In allen Bundesländern wurden die organisierten Praktika und Schnuppertage aufgrund der Corona Pandemie abgesagt. Doch es hat ein Gutes: zum Einen wird klar, dass wir uns für alle Beschäftigten in den systemrelevanten Berufen viel stärker einbringen müssen und zum Anderen, dass Betriebe und die Bildungseinrichtungen eine viel nachhaltigere Rolle einnehmen müssen als bisher.
Was ist der Girls‘ und Boys‘ Day?
Der Girls’ Day ist ein einmal im Jahr stattfindender Aktionstag, der Mädchen und Frauen motivieren soll, technische und naturwissenschaftliche Berufe zu ergreifen. Der Tag soll dazu beitragen, den Anteil der weiblichen Beschäftigten in sogenannten „Männerberufen“ zu erhöhen und dadurch zum Einen die klischeehaften Zuschreibungen gegen Frauen, die sich für diese Berufe interessieren zu bekämpfen und zum Anderen den Fachkräftemangel in der Industrie verringern.
Der Boys’ Day gilt als Pendant zum Girls’ Day und soll das Gleiche für die sogenannten „Frauenberufe“ in Gesundheit, Pflege, Soziales, Erziehung, Bildung und Dienstleistung bewirken. Auch wenn es durch die Corona Krise vielerorts keine geeigneten analogen Alternativen für den Aktionstag gibt, kann er zu einer ganz wichtigen Sensibilisierung beitragen: Es zeigt sich mehr denn je, dass die derzeitig frauendominierten Berufe systemrelevant und unerlässlich für eine funktionierende Gesellschaft sind. Sie müssen viel stärker aufgewertet werden – durch ihre Wertschätzung, ja. Aber vor allem durch eine viel bessere Bezahlung und Tarifverträge.
Noch gar nicht ausreichend wird am Girls‘ und Boys‘ Day die intersektionale Perspektive behandelt. Diese Perspektive betrachtet die Benachteiligung aufgrund mehrerer Diversitätsmerkmale, also nicht nur auf Grundlage des Geschlechts, sondern auch z.B. aufgrund der ethnischen Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit. Dabei fehlt es an einer geeigneten Ansprache aller Jugendlichen in angehenden Berufen. Die angehende KFZ-Mechanikerin mit Kopftuch. Der Pfleger mit arabischen Wurzeln. Das sind Bilder und Vorbilder, die wir sehen müssen um es auf allen Ebenen als Normalität zu begreifen. Ein Blick in die systemrelevanten Berufe wie Verkäuferin, Pflegerin zeigt, dass diese Tätigkeiten längst migrantisch geprägt sind. Dies findet jedoch kaum öffentliche Beachtung. Aber auch das allein reicht nicht. Es braucht die Gleichbehandlung und unvoreingenommene Bewertung der Jugendlichen mit Migrationserfahrung in ihren Fähigkeiten und Kompetenzen in den Bildungseinrichtungen.
Denn migrantische Mädchen und Jungen werden im Bildungssystem noch immer benachteiligt, wie die Studie aus 2018 der Universität Mannheim zeigt. In der experimentellen Studie konnten die Forschenden zeigen, dass angehende Lehrkräfte schlechtere Noten bei Schüler_innen mit ausländischem Namen vergaben, obgleich die Anzahl der Fehler bei Schüler_innen mit deutschem Namen gleich war. Da die schulischen Noten und die damit assoziierte Beurteilung der Fähigkeiten und Kompetenzen der Schüler_innen nach wie vor eine immense Rolle spielen, verbaut dies u.a. auch den Zugang zur Ausbildung für viele Schüler*innen mit Migrationserfahrung.
Was kann man zum nächsten Girls‘ und Boys‘ Day anders machen?
Sowohl die Betriebe als auch die Lehrkräfte sind noch lange nicht darauf ausgerichtet frauen- und männerdominierte Berufe diversitätssensibel zu vermitteln, d.h. zum Einen bei der Personalwahl aber auch bei der Umsetzung von Lehrplänen und Bildungsmaterialien darauf zu achten, die kulturelle Vielfalt der Gesellschaft zu reflektieren und zu repräsentieren.
Das neu anlaufende Projekt KompAKT der gewerkschaftlichen Tochter IQ Consult gGmbH will genau da ansetzen: Um die Betriebe – insbesondere Ausbilder_innen und ausbildende Meister_innen – dafür zu sensibilisieren, bietet sie Qualifizierungen an, in denen kostenlos gemeinsam mit den Betrieben Handlungsempfehlungen entwickelt werden können, Jugendliche in ihrer Ausbildung besser zu unterstützen. KompAKT, das für „Kompetenzen bei Ausbilder_innen stärken, Aktiv Vielfalt gestalten“ steht, stärkt die Rolle der Ausbilder_innen im Betrieb und befähigt sie, Azubis und die betriebliche Kultur in ihrer gesamten Vielfalt zu managen. Das Projekt ist durch das Bundesprogramm Demokratie Leben! finanziert und bietet seine Angebote bundesweit interessierten Betrieben an (www.iq-consult.de/kompakt).
Für eine Öffnung von Bildungseinrichtungen gibt es ebenfalls bundesweite Initiativen und Möglichkeiten aktiv zu werden. In Niedersachsen beispielsweise ist die Teilnahme am sogenannten „Zukunftstag für Mädchen und Jungen“ für Schüler_innen der Klassenstufen 5 bis 9 als Bestandteil in die berufliche Orientierung an allgemeinbildenden Schulen per Erlass eingebettet. „Wenn wir wirklich alle an einem Strang ziehen und den Zukunftstag so behandeln wie er es verdient hätte, dann können die Jungs und Mädchen die Möglichkeit bekommen, in die örtlichen Betriebe reinzuschnuppern ohne ausgelacht zu werden und die Akzeptanz von allen erleben“ sagt Carmen Koel, Schulsozialarbeiterin an der Realschule Bad Bentheim in Niedersachsen. Dafür ist es aber auch wichtig, sich klarzumachen, dass ein Erlass allein nicht dazu führt, dass ein solcher Zukunftstag gelebte Realität ist. Sowohl die Unternehmen, als auch die Presse und die Landesschulbehörden müssen es als ihre Aufgabe verstehen, diesen Tag mitzugestalten. „Es könnte viel lebendiger gestaltet werden und auch vielmehr in Anspruch genommen werden werden. Dafür müssen auch das Elternhaus und die Betriebe vor Ort mitziehen. Im Moment wird es als ein Aktionstag wahrgenommen, der den Schulalltag irritiert. Das ist schade.“ Koel wünschst sich daher, dass Unternehmen und die Landesschulbehörden den Aktionstag offen ausschreiben und ihn an den Schulen stärker bewerben.
Die Initiative für Berufs- und Studienwahl „Klischeefrei“ stellt auf ihrer Webseite beispielsweise sowohl Informationen für alle relevanten Zielgruppen zusammen, bietet aber auch verschiedenste Netzwerke mit vielfältigen Partner_innen an (www.klischee-frei.de). Auch der DGB ist Partner der Initiative und bildet u.a. die Brücke zu frauen-, gleichstellungs- und familienpolitischen Positionen der Arbeitnehmenden.
Für Schulen bzw. Lehrkräfte bietet die Initiative verschiedenste Materialien für den Unterricht an, die online abgerufen und bestellt werden können. Dies bietet Lehrkräften die Möglichkeit ihren Unterricht damit zu gestalten, den Lehrplan kritisch zu hinterfragen und die berufliche Vorbereitung der Schüler_innenschaft positiv zu beeinflussen.