
Flucht nach Deutschland
Bis zum 22. März flüchteten 3,6 Millionen Menschen aus der Ukraine, 239.000 wurden in Deutschland offiziell registriert. Die meisten davon sind Frauen und Kinder, weil Männer im wehrfähigen Alter von 18 bis 60 das Land nicht verlassen dürfen. Erstmals kam EU-weit die so genannte „Massenzustroms-Richtlinie“ zum Tragen, die eine Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz gewährt – ohne Asylverfahren. Wie kann den Ankommenden bestmöglich geholfen werden?
Vorgesehen ist, dass die ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Die betragen derzeit pro allein stehendem Erwachsenen ca. 367 Euro im Monat zuzüglich ggf. Miet- und Heizkosten. Mit der Aufenthaltserlaubnis geht nicht automatisch ein unbeschränkter Arbeitsmarktzugang einher, doch soll dies nach Angaben der Bundesregierung zeitnah geregelt werden. Der DGB fordert, die Ankommenden möglichst unkompliziert und schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren – siehe Kasten.
DGB Forderungen zum Umgang mit flüchtenden Ukrainer_innen
- Frauen, die den ganz überwiegenden Teil der volljährigen Geflüchteten stellen, müssen besonders gefördert werden.
- Die Bundesregierung muss den Zugang zu Sprachkursen ebenso gewährleisten wie eine zügige und unkomplizierte Anerkennung beruflicher Abschlüsse und Qualifikationen.
- Sie dürfen nicht mangels Alternativen in prekärer Beschäftigung landen und dort die Versäumnisse in der Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre ausgleichen.
- Die Bedingungen müssen sich für alle Beschäftigten verbessern, gleich ob sie bereits in Deutschland leben, zu Arbeitszwecken einwandern oder auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung ins Land kommen.
- Wichtig für Geflüchtete sind Angebote für Bildung und Weiterbildung.
- Kinder und Jugendliche, die teils auch ohne Begleitung nach Deutschland fliehen, müssen zeitnah in Schulen und Kitas integriet und gezielt gefördert werden.
Schon jetzt ist klar, dass versucht werden wird, die große Zahl Ankommender für ausbeuterische Beschäftigung auszunutzen. Lohn- und Sozialbetrug dürften zunehmen. Der Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) etwa geht nach Recherchen des ARD-Magazins Report Mainz davon aus, dass ukrainische Betreuungskräfte für einen Bruchteil des Lohnes arbeiten werden, den Osteuropäerinnen aus der EU derzeit in Deutschland bekommen. „Bis zu 300.000 Ukrainerinnen werden schätzungsweise für die Hälfte des Honorars arbeiten und alle Bedingungen ertragen, um ihre Familien zu ernähren“, sagt der Vorstandsvorsitzende des Verbandes, Daniel Schlör. Wichtig sind deshalb umfassende Beratungsangebote, wie sie etwa das Portal „Fair Arbeiten“ des DGB Beratungsnetzwerks Faire Mobilität:
https://www.fair-arbeiten.eu
Auch das IQ Netzwerk stellt sich auf zunehmende Beratungsanfragen von Personen mit beruflichen Abschlüssen aus der Ukraine ein. Auf einer eigenen Webseite hat die IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung deshalb Informationen für die Beratung von Menschen mit Abschlüssen aus der Ukraine zusammengestellt. Die Webseite wird fortlaufend ergänzt:
https://bit.ly/3in4lfc
Mit Blick auf die hohe Zahl ankommender Kinder sagte die stellvertretende DGB Vorsitzende Elke Hannack, nötig sei eine „echte Kraftanstrengung im Bildungssystem“. Kitas, Schulen und Bildungsträger bräuchten dringend mehr Geld für Personal und Ausstattung, damit Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine schnell ein gutes Bildungs- und Betreuungsangebot zur Verfügung steht, so Hannack. Es sei absehbar, dass bis 2025 insgesamt 45.000 Lehrkräfte an Schulen und 300.000 Erzieher_innen an Kitas fehlen werden.
Schulen und andere Bildungseinrichtungen stehen derweil vor der Aufgabe, den Ukraine-Krieg zu behandeln. Die GEW hat dafür auf einer eigenen Webseite Tipps zusammengestellt. Diese sollen auch helfen, eine Überforderung von Kindern mit Fluchterfahrungen oder Migrationsgeschichte zu vermeiden. Ebenfalls finden sich dort Hinweise für den Umgang mit Schüler_innen mit ukrainischer oder russischer Migrationsgeschichte:
https://bit.ly/3CUm9I0
„Ich finde es unbedingt richtig, das zu thematisieren“, sagt GEW-Chefin Maike Finnern. Doch nach fast zwei Jahren Pandemie und dem ohnehin dramatischen Lehr- und Fachkräftemangel sei dies „eine große Herausforderung für die Schulen“, so die GEW-Schulexpertin Anja Bensinger-Stolze. Erfahrungsgemäß würden sich die Lehrkräfte sehr für geflüchtete Kinder und Jugendliche engagieren. Trotzdem brauchen die Schulen zusätzliche Fachkräfte. Sowohl Expertise in asylrechtlichen Fragen und für Traumata als auch Lehrkräfte für ‚Deutsch als Zweitsprache‘ sowie herkunftssprachliche Fachkräfte werden verstärkt benötigt, sagt Bensinger-Stolze.
ver.di startete derweil mit dem Bundesverband Schauspiel, der ARD, ZDF, Deutschlandradio sowie anderen Organisationen ein Job-Portal, um geflüchteten Kultur- und Medienschaffenden aus der Ukraine und Russland bei der Suche nach Beschäftigung helfen. „Wir wollen einen Teil dazu beitragen, dass unseren Kolleg_innen aus der Ukraine und aus Russland eine berufliche Perspektive für die Zeit des Exils und Unterstützung bei der Suche nach Beschäftigung geboten wird“, so ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz.
https://bit.ly/3IoMYFx
Die IG BAU hat derweil zunächst 39 aus der Ukraine geflüchtete Menschen in ihr Bildungszentrum in Steinbach (Taunus) aufgenommen. Die Geflüchteten stammen aus Kiew, Karkow und Poltawska und können in dem Tagungshaus jeweils als Kleinfamilien in Einzelzimmern wohnen. „Solidarität ist seit jeher für die Gewerkschaftsbewegung wichtig, Solidarität üben wir auch jetzt mit den Ukrainern, die so sehr unter dem Angriffskrieg Putins leiden“, sagt der IG BAU-Bundesvorsitzende Robert Feiger.
„Ihr sollt euch hier wohl fühlen, hier seid ihr sicher“, sagte Ulrike Laux, im IG BAU Bundesvorstand zuständig für das Bildungswerk. Die Geflüchteten können in der Tagungsstätte bleiben, bis sie selbst etwas anderes gefunden haben oder ihnen eine andere Wohnung vermittelt wurde. Die IG BAU werde auch darüber hinaus in dem Bildungszentrum mit insgesamt 90 Zimmern aus der Ukraine geflüchtete Menschen aufnehmen.
Entnommen aus Forum Migration April 2022