Faire Mobilität braucht faire Kontrolle: Kommentar von Dr. Norbert Cyrus
Kommentar von Norbert Cyrus
Forscher am Viadrina Center B/ORDERS IN MOTION der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)
Neben „Guter Arbeit“ ist „Faire Mobilität“ zu einem wichtigen Leitbild und Orientierungspunkt gewerkschaftlichen Handelns geworden. Inzwischen besteht ein bundesweites Netz von Beratungsstellen, die Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter gezielt ansprechen und über ihre Arbeitsrechte und Möglichkeiten der Durchsetzung informieren. Zugleich setzt sich der DGB Bundesvorstand aber auch dafür ein, dass Arbeitsmarktkontrollen ausgeweitet und intensiviert werden: Das Personal der Finanzkontrolle Schwarzarbeit soll von derzeit etwa 6.800 auf 10.000 Stellen angehoben und ihre Kontrollbefugnisse ausgeweitet werden.
In der gegenwärtigen Form erweisen sich diese gewerkschaftlichen Initiativen für einerseits „Faire Mobilität“ und andererseits „Mehr Kontrollen“ aber als praktisch widersprüchlich. Zur Verdeutlichung nur ein Beispiel: Das Hauptzollamt Magdeburg beschreibt in einer Presseinformation vom 26. Februar 2018 den Fall eines Unternehmers aus Osteuropa. Dieser habe Arbeitskräfte aus der Ukraine mit falschen Versprechungen angeworben und ohne Visum und Arbeitserlaubnis an einen Schweinemastbetrieb verliehen. Die Arbeitnehmer erhielten statt der vorgeschriebenen 8,84 Euro nur 3,80 Euro. Daher wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den ausländischen Arbeitgeber wegen des Verdachts auf illegale Beschäftigung von Ausländern sowie des Verstoßes gegen Mindestlohnregelungen eröffnet. Ansonsten seien 30 Osteuropäer durch den Zoll im Saalekreis gemeinsam mit der Ausländerbehörde ausgewiesen worden, weil sie über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfügten. Die Presseinformation verdeutlicht schlaglichtartig, dass die Anliegen der „Fairen Mobilität“ in den gegenwärtig praktizierten Formen von Arbeitsmarktkontrolle nicht betrachtet werden. Dabei hat es in den letzten Jahren einige bemerkenswerte rechtliche Veränderungen gegeben, die auf einen effektiven Schutz aller Beschäftigter vor Ausbeutung abzielen – unabhängig vom Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisstatus. So wurden die „Rechtsfolgen der Beschäftigung illegaler Ausländer“ mit § 98 a Aufenthaltsgesetz im Jahr 2011 gesetzlich neu bestimmt. Arbeitgeber sind seitdem zur Zahlung mindestens der üblichen Vergütung verpflichtet. Zur Bestimmung der Summe ist sogar von der Vermutung einer Beschäftigungsdauer von drei Monaten auszugehen. Ausdrücklich bestätigt wird das Recht, vor einem deutschen Arbeitsgericht eine Klage auf Einhaltung der Zahlungsverpflichtung zu erheben.
Besonderer rechtlicher Schutz besteht für Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter, die ausgebeutet werden. Im Jahr 2015 hat der Gesetzgeber die Tatbestände Menschenhandel (§ 232), Zwangsprostitution (§ 232a), Zwangsarbeit (§ 232b) und Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233) in das deutsche Strafrecht aufgenommen. Ausreisepflichtige Beschäftigte, die möglicherweise von diesen Tatbeständen betroffen sind, sollen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sie zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen und ihre Mitwirkung im Ermittlungsverfahren als Zeuge erforderlich ist (§ 25, 4a AufenthG).
Bisher hat es der Gesetzgeber jedoch versäumt, den Schutz vor Ausbeutung und die Unterstützung ausgebeuteter Beschäftigter in geeigneter Form in den Aufgabenkatalog der Kontrollbehörden aufzunehmen. Die Durchsetzung gesetzlich verbriefter Arbeitsrechte bleibt oftmals auf der Strecke. Gewerkschaften sollten daher nicht nur „mehr“, sondern vor allem auch „fairere“ Kontrollen fordern: Als erster Schritt sollten Zoll- und Arbeitsschutzbehörden verpflichtet werden, den Beschäftigten eine schriftliche Information über ihre rechtlichen Ansprüche, Möglichkeiten weiterer Beratung und Mittel zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen auszuhändigen. Damit würde ohne großen Mehraufwand auch eine Vorgabe der Europäischen Arbeitgebersanktionen-Richtlinie umfassend und effektiv umgesetzt, wonach Behörden sicherstellen müssen, dass illegal beschäftigte Drittstaatsangehörige vor der Vollstreckung einer Rückführungsentscheidung systematisch und objektiv über ihre Rechte informiert werden (Art. 6, Abs. 2). Zugleich würden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kontrollbehörden kontinuierlich daran erinnert, dass der Schutz vor Ausbeutung und die Durchsetzung von Arbeitsrechten zu ihren Aufgaben zählt.
Eine systematischere Aufmerksamkeit für „Faire Kontrolle“ kann die bestehenden praktischen Widersprüche zwischen Kontrolle einerseits und Unterstützung andererseits sichtbar machen – und damit die Voraussetzung für eine effektivere Abstimmung der beiden Ansätze schaffen. Das große Ziel „Gute Arbeit“ braucht beides: „Faire Mobilität“ und „Faire Kontrolle“.
Dieser Beitrag wurde der Publikation "Forum Migration April 2018" entnommen.