
„Erinnern heißt verändern!“

Kommentar von Imam-Jonas Dogesch, Sprecher des Bündnisses "Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992."
Anlässlich der 30. Jahrestage des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen haben sich zivilgesellschaftliche Gruppen, Vereine und Initiativen zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen rechte Gewalt und Rassismus in Mecklenburg-Vorpommern einzustehen. Auch ver.di Nord ist Teil des Bündnisses, das das Gedenken an das Pogrom in Lichtenhagen organisiert und dabei immer wieder an seine bis heute andauernden Kontinuitäten erinnert.
Dabei war klar: Rassismus ist damals wie heute ein gesamtgesellschaftliches Problem – von Anschlägen und Attentaten über rassistische Gesetze und institutionellen Rassismus bis hin zu individuellen Einstellungen.
Zum Gedenken gehört deshalb eine aktive Aufarbeitung, für die auch Lokalpolitik und Stadtverwaltung in Rostock dauerhaft in der Pflicht sind.
Für das Bündnis waren fünf Themen wichtig: Die Angriffe in Rostock-Lichtenhagen historisch korrekt als Pogrom zu benennen – das hat etwa die Stadt Rostock lange vermieden und stattdessen etwa von „Ausschreitungen“ gesprochen. Die Perspektive der Betroffenen muss an erster Stelle stehen. Lichtenhagen darf nicht als Einzelfall wahrgenommen werden, sondern muss in der Kontinuität rechter Gewalt sowie Rassismus und Antiziganismus von damals anerkannt und in der Öffentlichkeit so benannt werden. Statt Symbolpolitik müssen Verständigung und Nachhaltigkeit in die Gedenkkultur prägen. Zivilgesellschaft und kommunale Institutionen müssen dafür auf Augenhöhe zusammenarbeiten.
Doch als im Rathaus die städtische Gedenkveranstaltung stattfand, mussten wir erleben, dass alle vier Hauptredner_innen – Bundespräsident Steinmeier, die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die Rostocker Bürgerschaftspräsidentin Regine Lück und der Rostocker Sozialsenator und stellvertretende Oberbürgermeister Steffen Bockhahn bei ihren Reden die anwesende Izabela Tiberiade – Tochter des vom Pogrom 1992 direkt betroffenen Romeo Tiberiade – nicht begrüßten. Dies hat nur nicht unsere Kritik an der Kommune bestätigt, es war auch respektlos und peinlich für die Veranstaltenden. Danach war in der lokalen und überregionalen Presse nur vom Besuch des Bundespräsidenten und seiner Rede zu lesen. Die Perspektive der Betroffenen, die vor Ort waren sowie die oben genannte Panne wurde „übersehen“.
Der Höhepunkt des 30. Gedenkjahres an das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen war die Demonstration am 27. August, auf der das Bündnis Forderungen einerseits lautstark mit 5.000 Demoteilnehmer_innen aus fast allen Bundesländern kundtat, diese aber gleichzeitig auch selbst praktiziert und umgesetzt hat. Denn es war nach 30 Jahren erstmals gelungen, Zeitzeug_innen aus der damals angegriffenen Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber_innen in Rostock zu hören. Möglich war dies in Form von Videointerviews, die die Roma-Aktivistin Izabela Tiberiade in Rumänien geführt hatte. Auch sie hielt eine Rede – es war die erste eines direkten Angehörigen der Opfer beim Gedenken überhaupt. Auch im Rahmen vieler Veranstaltungen im Vorfeld der Demo und mit den Redebeiträgen wurden die Perspektiven und Forderungen von Aktivist_innen gehört, die sich gegen die rassistischen Verhältnisse engagieren.
Das muss auch praktische Folgen haben. Das Bündnis setzt sich deshalb für einen Abschiebestopp und Bleiberecht für Rom_nja und alle Betroffenen rassistischer Gewalt ein. Es fordert die dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden, sowie die Auflösung der Aufnahmeeinrichtung in Nostorf-Horst – in der Rostock nach dem Pogrom 1992 begonnen hatte, Asylsuchende unterzubringen – und aller Sammellager.
Zudem fordern wir, den Neudierkower Weg in Rostock-Toitenwinkel in Mehmet-Turgut-Weg umzubenennen. Denn dort hatte der NSU am 25. Februar 2004 an einem Döner-Imbiss den Kurden Mehmet Turgut mit drei Kopfschüssen ermordet.
Zuversichtlich stimmt, dass das Bündnis sich zum ersten Mal nach den Erinnerungsveranstaltungen nicht auflösen wird, sondern weiter seine Arbeit an den Gedenkformen des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen fortsetzt. Schon im September hat dazu ein Treffen mit Betroffenen und Bewohner_innen der damaligen ZASt stattgefunden.
Denn, wie die Aktivist_innen aus Hanau es anlässlich des zweiten Jahrestages des Anschlages dort formuliert haben: „Erinnern heißt verändern!“
Entnommen aus Forum Migration Oktober 2022