„Du bist aber empfindlich“, oder warum niemand über Alltagsrassismus reden mag: Kommentar von Giorgina Kazungu-Haß
Kommentar von Giorgina Kazungu-Haß
MdL (SPD) in Rheinland-Pfalz
Die afrodeutsche Politikerin Giorgina Kazungu- Haß wurde im Mai bekannt, weil ein Schaffner der Deutschen Bahn sie und ihre Familie aus einem 1. Klasse-Abteil werfen wollte, ohne zuvor nach einem Ticket gefragt zu haben*. Kazungu- Haß machte den Fall öffentlich, die Bahn musste sich entschuldigen.
Menschen, die anders aussehen, werden in unserem Land in der Regel als fremd empfunden. Obgleich bereits jede bzw. jeder 5. Deutsche einen Migrationshintergrund hat, ist diese Schublade immer noch für alle gedacht, die eine andere Hautfarbe haben, oder sonstige Merkmale, die aus der Sicht der oder des Betrachtenden aus der gängigen Masse herausfallen. Es gibt Begriffe wie „Biodeutsche“, die das untermauern, längst haben sie Einzug in den öffentlichen Diskurs der Mitte genommen. Es ist eine Form des Rassismus die im angelsächsischen Sprachraum mit „Colorism“ eine eigene Bezeichnung erhalten hat. Es sind also nicht zwingend Menschen außerhalb Europas betroffen, es kann auch ein Südspanier sein, oder eine Italienerin, die abwertend behandelt werden, weil sie eben nicht dazu gehören.
Bemerkbar machen sich diese Abwertungen in allen Lebensbereichen. Im Restaurant wird man später bedient, auf dem Amt wird man laut und überartikuliert angesprochen, bei einer Kontrolle wird man als einzige Person herausgezogen und auf Herz und Nieren überprüft. Beruflich wird einem oft weniger zugetraut, Schülerinnen und Schüler erhalten weniger Empfehlungen für das Gymnasium und es geht so weit, dass öffentliche Ämter und Mandate oft auch aus dem Grund nicht mit Poc (Person of colour) besetzt werden, weil Parteien schlicht Angst haben, so entscheidende Stimmen zu verlieren. All das sind Binsenweisheiten und sie sind weitgehend bekannt. Rassismus ist in Deutschland ein Tabu. Besser wäre aber zu sagen: Das Reden über Rassismus ist in Deutschland ein Tabu. Und das zeigt, wie nötig es ist, eine breite Debatte darüber zu führen.
Immer wieder wehren sich Poc gegen Rassismus, erzählen von ihren Erlebnissen, um zu sensibilisieren. Egal, ob sie es im öffentlichen Raum tun und die Medien es aufgreifen, oder im privaten Umfeld, in der Regel finden sich sofort eine Reihe von nicht betroffenen Menschen, die das Erlebnis banalisieren wollen, oder gar übertriebene Empfindlichkeit vorwerfen. Es werden dabei unzulässige Analogien bemüht, auf andere Formen der Diskriminierung hingewiesen und Rassismus als Begrifflichkeit verwässert. Die wütenden Kommentare von rechten Trollen im Netz sind dabei nur ein kleiner Teil des Problems, vielmehr ist es der Diskurs der Mitte der schief verläuft. „Die Täter_innen verdienen Verständnis“, so die einhellige Meinung dieser leider großen Gruppe in unserem Land, in Wahrheit geht es ihnen aber um ihre Selbstwahrnehmung als Teil der „Deutschen“, die angeblich unter „Generalverdacht“ gestellt werden.
Getrieben von der Idee der aufgeschlossenen, bunten Bundesrepublik Deutschland, wird genau diese auch vehement verteidigt, wenn berechtigt Missstände angezeigt werden.
Die Betroffenen verstummen meist schnell wieder, viele nehmen sich vor, nie wieder etwas zu sagen, nicht wenige beginnen sogar zu zweifeln, ob sie überhaupt ein Recht haben sich aufzuregen, wo es doch auch Hass gegen Brillenträger und Rothaarige gibt. So läuft die Auseinandersetzung über Rassismus nicht wegen der politischen Rechten ins Leere, das wäre ja sogar eine klare Chance der Abgrenzung, sie würgt sich ab, weil die Abgrenzung vom vermeintlich „Fremden“ etwas ist, dass alle betrifft und nur durch aktive Gegenwehr gegen eigene Ressentiments abzuschaffen ist. Es ist schwer zuzugeben, dass wir alle auch ein wenig schlecht sind und es jeden Tag eine Herausforderung ist, nicht einfach zu pauschalisieren und zu urteilen, um diese unübersichtliche Welt für sich zu bewältigen.
„Empfindlich“ ist also eigentlich die andere Seite, die den Vorwurf nicht diskutieren möchte, da es schlicht ans Eingemachte geht. Deswegen braucht es Kooperation statt Konfrontation, Dialog von Betroffenen und nicht Betroffenen um die harte Arbeit gegen Rassismus und Ressentiments endlich aus der Ecke der Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse zu holen. Wie werden alle davon profitieren und vielleicht sogar ein wenig besser werden.
*Bericht in der Süddeutschen Zeitung: https://bit.ly/2Mqd52l
Dieser Beitrag wurde der Publikation "Forum Migration Juli 2018" entnommen.