
Brexit: Flickwerk gegen Exodus der Arbeitenden
Logistik, Landwirtschaft, Fleischindustrie: Nach dem Brexit leiden viele Branchen Großbritanniens unter eklatantem Arbeitskräftemangel. Die Regierung versucht mit punktuellen Visa-Programmen gegenzusteuern.
Rund 20.000 ausländische Fahrer haben seit dem Brexit Großbritannien verlassen, laut dem Branchenverband Road Haulage Association fehlen dort heute insgesamt 100.000 Lkw-Lenker. Supermarktregale und Zapfsäulen blieben zuletzt teils leer. Die Regierung in London will deshalb nun unter anderem die so genannten Kabotageregeln für Lkw-Fahrer_innen aus dem Ausland lockern. Sie sollen mehr Lieferungen pro Aufenthalt tätigen dürfen. Derzeit sind Lkw-Fahrer_innen aus der EU binnen sieben Tagen nur zwei Abholungen und Zustellungen erlaubt. Künftig sollen in einem Zeitraum von zwei Wochen unbegrenzt viele Fahrten möglich sein. Die Regierung glaubt, dass das etwa 1.000 zusätzliche Lkw-Fahrer_innen auf die Straßen bringt, ohne dass dafür Visa ausgestellt werden müssten.
Edwin Atema von der Europäischen LKW-Fahrer-Gewerkschaft FNV sagte, mit dem Schritt legalisiere die Regierung die Ausbeutung der Trucker. „Die Kabotageregeln aufzuheben wird keine Abhilfe schaffen, sondern schüttet nur noch mehr Öl ins Feuer einer Branche, die bereits kaputt ist“, sagte Atema. Die schlechte Bezahlung sei dabei ein Faktor, aber nicht der Einzige. „Wenn wir sehen, was in dem Sektor passiert, verlieren Fahrer aus ganz Europa und sogar darüber hinaus jegliches Vertrauen in diese Branche.“ Schon lange vor der Corona-Krise und dem Brexit sei diese Branche „krank“ und „geplagt von der Ausbeutung durch unverantwortliche multinationale Unternehmen“ gewesen. Folge sei, dass „die Fahrer_innen mit den Füßen abstimmten und die Branche einfach verließen“, sagte Atema. Neben der geänderten Kabotage-Regelung soll es für LKW-Fahrer_innen 5.000 zusätzliche Visa geben. „Kein Mensch wird das annehmen“, sagte der Chef des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung der DPA. Er wisse von niemandem, der sich beworben habe. Osteuropäische Fachkräfte seien verärgert über das Vorgehen der britischen Regierung. EU-Bürger_innen benötigen seit dem 1. Januar teure Visa, die neuen Visa für LKW-Fahrer_innen seien zudem auf wenige Monate befristet. Das sei eine schlechte Perspektive, sagte Engelhardt. „London hat den Brexit gewollt, nun bekommen sie ihn.“
Das Problem ist nicht auf die Logistikbranche beschränkt. Wegen des Mangels an Metzgern gab es Warnungen, dass 150.000 Schweine getötet werden könnten, ohne dass das Fleisch in die Nahrungsmittelkette gegeben wird. Die Regierung kündigte an, bis zu 1.000 Visa für ausländische Schlachtermeister auszugeben – zu deutlich erleichterten Bedingungen. Unter anderem soll auf fortgeschrittene Englischkenntnisse verzichtet werden.
Entnommen aus Forum Migration November 2021