
Bilanz von 2015: "Mythos Merkel-Effekt"
In den letzten Tagen der Amtszeit Angela Merkels war erneut vielfach zu hören, die Kanzlerin habe 2015 Flüchtlinge „eingeladen“, ihre Haltung sei ein „Pull-Faktor“ für Schutzsuchende gewesen. Schon 2016 haben Rechercheure der „Zeit“ diese Behauptung widerlegt. Nun präsentiert auch das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) eine Studie, die den „Merkel-Effekt“ als „Mythos“ widerlegt.
Die hohen Zuwanderungszahlen im Jahr 2015 seien vielmehr das Ergebnis eines Aufwärtstrends gewesen, der sich bereits Jahre zuvor abgezeichnet habe, so die IfW-Forscher_innen. Dieser Trend habe bereits 2010 begonnen und sich 2014 und 2015 zum Teil durch Finanzierungslücken bei der Versorgung von Flüchtlingen in den Erstaufnahmeländern im Nahen Osten intensiviert. Zudem habe die Entscheidung Merkels im September 2015, tausende von Asylsuchenden über die Grenze nach Deutschland einreisen zu lassen, nicht zu einer dauerhaft erhöhten Zuwanderung geführt. Die Entscheidung habe keinen messbaren Einfluss auf die nachfolgenden Migrationsbewegungen nach Deutschland bis 2020 gehabt. Statt sich weiter zu beschleunigen, gingen die Migrationszahlen deutlich zurück – sogar schneller als in anderen EU-Zielländern. „Eine offene Migrationspolitik für Menschen in Not führt nicht zwangsläufig zu einer langfristig anhaltenden Zuwanderung”, sagt Tobias Heidland, Direktor des Forschungszentrums Internationale Entwicklung am IfW. Zwar habe sich die Nachricht von Angela Merkels Kurs seinerzeit rasant über Medien und soziale Netzwerke verbreitet. Doch der von Kritikern befürchtete Pull-Effekt, dass sich erst deswegen viel mehr Asylsuchende auf den Weg nach Deutschland machen würden, sei nicht eingetreten, so Heidland. „Selbst die Auswanderungsabsichten potenzieller Migranten in den Herkunfts- oder Erstasylländern wie der Türkei stiegen höchstens kurzfristig an.” 2016 zählte das BAMF 745.545 Erst- und Folgeanträge auf Asyl. 2015 hatten 476.649 Menschen in Deutschland Asyl beantragt.
IfW Working Paper: „Does welcoming refugees attract more migrants?”
Zeit-Dossier „Merkel war es wirklich nicht” (2016)
Entnommen aus Forum Migration Oktober 2021