
Besser geschützt vor „Müllverträgen”
Rund eine Million Ukrainer_innen sind seit Kriegsbeginn nach Deutschland gekommen. Gelingt es, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ohne dass ihnen Ausbeutung oder prekäre Beschäftigung droht? Die Voraussetzungen dafür jedenfalls sind gut – das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Sachverständigenrates Migration (SVR).
Ob und wie ukrainische Flüchtlinge in Deutschland die Arbeitsmarktintegration bewältigen, hängt unter anderem von einem gesicherten Aufenthaltsrecht und Arbeitsmarktzugang ab. Diese Voraussetzungen wurden vor allem mit der EU-weiten kollektiven Anerkennung im März geschaffen. Um prekäre Arbeitsverhältnisse zu verhindern, müssen jedoch zusätzlich individuelle und strukturelle Risikofaktoren berücksichtigt werden – darauf weist der SVR hin.
Als Vergleichsgruppe hat der SVR Ukrainer_innen herangezogen, die seit dem Wegfall der Visumpflicht im Jahr 2017 vermehrt im Niedriglohnsektor beschäftigt sind. „Diese Menschen arbeiten überwiegend im juristischen Nischen- und Graubereich des deutschen Arbeitsmarkts, was mit erheblichen rechtlichen und strukturellen Teilhabebeschränkungen verbunden ist“, sagt Franziska Loschert vom SVR. Gefährdet seien vor allem Betreuungskräfte, die über private Vermittlungsagenturen mit polnischen Dienstleistungsverträgen in deutschen Privathaushalten arbeiten. „In der Branche wird diese Vereinbarung ‚Müllvertrag‘ genannt“, sagt Loschert – ohne Anspruch auf Urlaub oder Krankengeld, sofort kündbar und es werden keine oder nur geringe Sozialversicherungsbeiträge für sie gezahlt.
Durch die Aktivierung der EU-Massenzustrom-Richtlinie aber haben ukrainische Flüchtlinge bereits seit März kollektiv ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis bekommen. Zugleich wurden sie in Deutschland seit Juni dem Rechtskreis des Sozialgesetzbuchs zugeordnet; dadurch wurden zentrale rechtliche Teilhabebeschränkungen abgebaut. „Bei den nach Deutschland geflohenen Menschen aus der Ukraine handelt es sich außerdem überwiegend um gut ausgebildete Arbeitskräfte“, sagt der Studienleiter Holger Kolb. Zusammen mit den geschaffenen rechtlichen Rahmenbedingungen trage das dazu bei, dass ihr Risiko, in ein prekäres Arbeitsverhältnis zu kommen, „deutlich geringer ist“. Ganz ausgeschlossen ist dies indes nicht. Entscheidend sei das administrative Handeln, vor allem bei der Auszahlung von Sozialleistungen, so die Studie. Stockt diese, nehmen Menschen eher ausbeuterische Beschäftigung an. Weitere Faktoren seien Weiterbildung und Arbeitsvermittlung, Kinderbetreuung, Spracherwerb, die Beratung zu sozial- und arbeitsrechtlichen Themen sowie die zügige Anerkennung von Qualifikationen.
Zwischen Ende Februar und dem 09. September 2022 wurden dem Bundesinnenministerium zufolge 1.008.635 Geflüchtete aus der Ukraine im Ausländerzentralregister (AZR) registriert. Dem UNHCR zufolge haben 655.800 Geflüchtete aus der Ukraine bereits Schutz in Deutschland erhalten.
Entnommen aus Forum Migration Oktober 2022