
„#ausgeliefert” an Amazon: „Nur eine App”
Mit der Kampagne #ausgeliefert und Aktionen am „Black Friday“ machten Gewerkschafter_innen im Herbst auf die Arbeitsbedingungen bei Amazon aufmerksam. Der Online-Händler beschäftigt seine Fahrer_innen über ein Geflecht undurchsichtiger Subunternehmen. Die prekäre Situation der nach Schätzung der Beratungsstelle Faire Integration in Thüringen zu 80 bis 90 Prozent migrantischen Fahrer_innen schaffe ein „System von Abhängigkeit und Angst“, sagt Benjamin Heinrichs von „Faire Integration”.
Um Steuern und Sozialabgaben zu sparen, würden Fahrer_innen teils parallel noch in Minijobs parallel beschäftigt. In vielen Fällen bekämen sie eine Tagespauschale von etwa 85 Euro am Tag. Wegen der hohen Zahl an Paketen würden viele an bis zu sechs Tagen pro Woche bis zu 12 Stunden täglich arbeiten. Dann könne ihr Lohn bei etwa 2.000 Euro netto im Monat liegen. Doch: „Wer krank ist, kriegt aber nichts. Und viele Fahrer denken, das sei so okay“, sagt Heinrichs. „Viele kennen ihre Rechte nicht, und wenn sie sie kennen, trauen sie sich nicht, was zu machen.“ Bei den Beschäftigten aus Nicht-EU-Staaten sei die Abhängigkeit besonders hoch. Teils würden Fahrer_innen mit dem Versprechen auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag angeworben, mit dem sie eine Niederlassungserlaubnis beantragen könnten. „Den kriegen sie in der Realität überhaupt nicht, das sind teils glatte Lügen.“ Andere Beschäftigte würden ihre Familien nach Deutschland holen wollen. „Die brauchen dafür ein gewisses Einkommen. Sie durchblicken oft nicht alles und haben Angst, ihre Arbeit zu verlieren“, sagt Heinrichs. Für den Lkw-Transport der Waren zwischen den Standorten sind häufig polnische Firmen beauftragt. Diese entsenden litauische, ukrainische oder polnische Fahrer zur Arbeit nach Deutschland und Westeuropa. „Das sind ziemlich undurchsichtige, abenteuerliche Konstrukte“, so Heinrichs. Beschwerden seien so kaum möglich, Amazon sei nur per E-Mail erreichbar. Für die Fahrer_innen aus der ganzen Welt gebe es eine Hotline in den USA, an die Amazon die Kommunikation outgesourct hat. „Selbst die Subunternehmer hier berichten, sie könnten die Unternehmenszentrale „nur über eine App erreichen“, sagt Heinrichs.
„Der Online-Handel boomt und Amazon als weltgrößter Online-Händler verdreifacht seinen Gewinn“, sagt dazu die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsi. Den Preis dafür zahlten auch die Beschäftigten, die die Pakete transportieren und zustellen. Deren Arbeitsbedingungen bei Subunternehmern seien ein unhaltbarer Zustand. „Wir fordern Amazon auf, die Beschäftigten, die beinahe rund um die Uhr Pakete für das Unternehmen befördern und ausliefern, direkt bei sich anzustellen.” Zudem müssten die Sozialversicherungsträger bei allen Amazon-Flex-Fahrern Statusfeststellungsverfahren einleiten, um mögliche Scheinselbstständigkeiten zu beenden. ver.di und der DGB fordern auch deshalb die Ausweitung des seit 2018 für die Paketbranche geltenden Gesetzes zur Nachunternehmerhaftung auf die gesamte Speditions- und Logistikbranche. Gilt in einer Branche die Nachunternehmerhaftung, müssen Unternehmen Sozialbeiträge für Beschäftigte nachzahlen, wenn einer ihrer Subunternehmer diese Beiträge nicht oder nicht vollständig gezahlt hat.
Entnommen aus Forum Migration Januar 2022