
Auf die Größe kommt es nicht an
Haben Geflüchtete und Migrant_innen es leichter, wenn sie in eine Großstadt oder wenn sie aufs Land kommen? Die Universitäten Erlangen und Hildesheim haben die Integrationspolitik von fast 100 Kommunen in Deutschland verglichen. Das Ergebnis: Weder Größe noch parteipolitische Mehrheiten oder wirtschaftliche Lage sind für den Integrationserfolg entscheidend. Wichtiger sei das Engagement von lokalen „Schlüsselpersonen”.
In vielen Kommunen habe der „lange Sommer der Migration“ 2015 als „Katalysator für das Integrationsmanagement“ gewirkt, sagt der Hildesheimer Professor Hannes Schammann. 68 Prozent der analysierten Kommunen haben der Studie zufolge ihren integrationspolitischen Ansatz seit 2015/2016 systematisch überarbeitet. Jede dritte Kommune verfüge inzwischen über ein Integrationskonzept. Nur kreisangehörige, eher kleinere Gemeinden nahmen demnach keine Anpassungen vor. Hier habe – neben fehlenden Ressourcen – vielfach der Eindruck bestanden, dass die Zugewanderten schon bald wieder in die größeren Städte ziehen würden.
Für die Studie hatten Forscher_innen kommunale Integrationspolitik in 92 Kommunen in zwölf Bundesländern untersucht und dabei insgesamt 182 Vertreter_innen von Verwaltung und Zivilgesellschaft befragt.
Die Studie identifiziert sieben Typen des kommunalen Integrationsmanagements, vom informellen Integrationsmanagement durch Ehrenamtliche oder den Bürgermeister selbst bis hin zu zentralisierten, professionalisierten Einheiten, etwa in Form eines Migrationsamtes. Es gebe dabei „keine optimale Lösung, sondern zahlreiche sinnvolle Ausprägungen“, auch als Mischformen, schreiben die Forscher_innen. Was die Nachhaltigkeit angehe, scheinen die formalisierten Typen im Vorteil.
Aber auch der stärkste Typ der Formalisierung, das Migrationsamt, könne in Zeiten geringer Zuwanderung und knapper Kassen unter Druck geraten. Als sinnvoll könnten sich daher flexible Strukturen erweisen, die auf schwankende Bedarfslagen reagieren und von einigen Kommunen bereits umgesetzt werden. Die Wissenschaftler_innen stellten fest, dass die Gemeinden, Städte und Landkreise bis heute stark von befristeten Projektgeldern sowie der Förderung durch den Bund oder das Land abhängig sind. Die Studie empfiehlt, Integration zur Pflichtaufgabe der Kommunen zu machen, um den „permanenten Rechtfertigungsdruck zu reduzieren und für Stabilität zu sorgen“.
Das Gegensatzpaar „Stadt und Land“ tauge kaum dazu, Varianz in der kommunalen Integrationspolitik zu erklären, schreiben die Forscher_innen weiter. Auch wenn Mobilität, persönliche Kontakte und die Präsenz migrantischer Communities in den Interviews übereinstimmend als Unterschiede zwischen städtischen und ländlichen Kontexten genannt werden, scheinen andere Faktoren entscheidender für die Ausgestaltung kommunaler Integrationspolitik zu sein – etwa ob es sich um eine kreisfreie oder kreisangehörige Gemeinde handelt.
Am häufigsten gaben Kommunen an, dass sich die Erfahrung von früheren Zuwanderungsmomenten positiv auf die Aufnahme von Geflüchteten um 2015 auswirkte – wenn die Verwaltung wisse, dass die Aufnahme einer größeren Zahl an Menschen in der Vergangenheit bereits gemeistert wurde und daher erneut „leistbar“ sei.
Bosch-Studie „Zwei Welten? Integrationspolitik in Stadt und Land“: https://bit.ly/3fTlPNm