
2021 - Neustart für die solidarische Einwanderungsgesellschaft?

Kommentar von Gökay Akbulut, MdB Die Linke
Knapp ein Viertel unserer Bevölkerung hat eine Migrationsgeschichte. Einige von uns haben Väter, die vor 60 Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind. Andere haben Mütter, die als Vertragsarbeiterinnen aus Vietnam Arbeit in der DDR fanden. Zahlreiche Menschen haben auf der Suche nach Sicherheit hier Asyl bekommen. Sie haben hier eine Heimat gefunden und dieses Land mit aufgebaut.
Migration hat es auch in Deutschland schon immer gegeben. Darum müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind. Viele Menschen mit Migrationsgeschichte und nicht-weiße Menschen erleben Rückschläge, erfahren Diskriminierung und Rassismus im Alltag.
Die Selbstverständlichkeit über unsere Gesellschaft als eine Gesellschaft der Vielen muss noch immer erkämpft werden. Zum einen weil es noch immer zahlreiche Gesetze gibt, die Menschen mit ausländischen Wurzeln benachteiligen. Beispielsweise waren 8,7 Millionen erwachsene Menschen in Deutschland in diesem Jahr von der Bundestagswahl ausgeschlossen. Das stellt ein extremes Demokratiedefizit dar. Als LINKE fordern wir das aktive und passive Wahlrecht auf allen Ebenen für alle Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.
Zum anderen weil es Rassisten gibt, die diese Selbstverständlichkeit aktiv bekämpfen. Der rechte Terror war immer da. Viele Menschen erleben ihn in Form von Mikroaggressionen täglich am Arbeitsplatz oder in der Schule. Die furchtbaren rechtsterroristischen Anschläge – ob Kassel, Halle oder Hanau – haben diesen Terror in allerschlimmster Form ans Tageslicht gebracht. Das Versagen der Behörden im Umgang mit der Aufklärung dieser Taten macht die Situation unfassbar und unerträglich. Ich bemerke, dass viele Politiker_innen nichts daraus gelernt haben. Unmittelbar nach den Taten gibt es Tweets, Stellungnahmen, Sondersitzungen, sehr schnell aber wird Rassismus bald wieder nur ein Randthema. Solange das so bleibt, werden sich rassistische Taten immer wiederholen. Ohne eine starke Linksfraktion gibt es keine klare Kante gegen rechte Hetze und Stimmungsmache im Bundestag.
Menschen mit Migrationsgeschichte sind nach wie vor unterrepräsentiert: in den Medien, in den Führungsetagen im Öffentlichen Dienst und in politischen Ämtern. Das muss sich ändern. Die Frage nach Repräsentanz ist nicht neu, aber sie muss immer wieder gestellt werden. Denn es ist längst keine Bringschuld der Menschen mit Migrationsgeschichte mehr sondern eine Umsetzungspflicht!
Im Bundestag haben aktuell gerade mal 8 Prozent der Abgeordneten eine Migrationsgeschichte. In der Legislaturperiode davor waren es 6 Prozent. Ich frage mich welche Gesellschaft soll das darstellen? Eine fiktive, aber sicher doch nicht unsere Einwanderungsgesellschaft.
Mir ist wichtig, die Chancengleichheit für alle Menschen zu garantieren. Wir müssen feststellen, dass es bisher nicht gelungen ist diese Ungleichbehandlung aufzuheben. Darum plädieren wir als LINKE für ein wirksames Instrument: Eine Quote wäre eine Möglichkeit, um Repräsentanz zu erhöhen und den Nachteil auszugleichen. Auf unserer Landesliste in Baden-Württemberg haben wir beispielsweise (ohne vorgegebene Quote) in den Top-10-Listenplätzen für die Bundestagswahl sogar 50 Prozent Menschen mit Migrationsgeschichte gewählt. Das ist wahrscheinlich einmalig für eine im Bundestag vertretene Partei und darauf bin ich sehr stolz.
Wir erleben eine zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft. Rassistische Diskriminierung nimmt oft dann zu, wenn es Menschen wirtschaftlich schlecht geht. Das gegeneinander Ausspielen wird von vielen politischen Akteur_innen bewusst eingesetzt. Für ein solidarisches Miteinander brauchen wir soziale Gerechtigkeit und nachhaltige ökologische Transformation für alle! Die soziale Frage steht darum für uns im Vordergrund. Als LINKE setzen wir uns deshalb für gute Arbeit und armutsfeste Renten ein.
Entnommen aus Forum Migration Oktober 2021