Wider die Kultur des Machismus
17.03.2022 I Allein 2020 sind 237 gewaltsame Todesfälle von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transvestiten und Transsexuellen in Brasilien registriert worden. LGBT+-Komitees der Internationalen für Öffentlichen Dienste, der PSI, verteidigen die Rechte von LGBT+-Beschäftigten. Das DGB-Bildungswerk unterstützt das Projekt.
Gleich zu Jahresbeginn hatte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro gehetzt: Die Forderungen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transvestiten und Transsexuellen nach einer Gleichstellung seien ein Mittel zur »Zerstörung der Familie«, wetterte der rechtsextreme Politiker. Doch diesmal blieben die Äußerungen auch von Gewerkschaftsseite nicht unwidersprochen.
Mit seiner Homophobie versuche der Präsident, der LGBT+-Community den Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Wohnen und Gesundheit zu erschweren, erklärte das brasilianische LGBT+-Komitee des Public Services International (PSI). »Gewalt und Tote sind das Ergebnis solcher Aussagen wie die des Präsidenten«, heißt es in der Anfang Januar veröffentlichten Stellungnahme. Erinnert wird darin an die im Jahr 2020 registrierten 237 gewaltsamen Todesfälle von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transvestiten und Transsexuellen. 224 Menschen wurden ermordet oder Opfer von Totschlag, 13 Fälle waren Suizide.
Das brasilianische LGBT+-Komitee ist eines von fünf subregionalen Komitees, die PSI in Lateinamerika und der Karibik eingerichtet hat. Unterstützt wird sie dabei vom DGB Bildungswerk. »Mit diesen LGBT+-Komitees ist PSI gewerkschaftlicher Vorreiter in der Region«, sagt Jocelio Drummond, der als Regionalsekretär des PSI Amerika für die politische Koordination der Komitees zuständig ist. Ähnliche gebe es zwar auch bei internationalen Gewerkschaften in den USA und Europa, aber bis dato eben nicht in Lateinamerika und der Karibik.
»Gewalt und Tote sind das Ergebnis solcher Aussagen wie die des Präsidenten«, heißt es in der Anfang Januar veröffentlichten Stellungnahme.
Public Services International (zu Deutsch: Internationale der Öffentlichen Dienste) ist ein globaler Gewerkschaftsverband des Öffentlichen Dienstes. Ihm gehören mehr als 700 Gewerkschaften an, die rund 30 Millionen Beschäftige in 154 Ländern vertreten. »Wir bringen ihre Stimmen bei den Vereinten Nationen, der ILO, der WHO und anderen regionalen und globalen Organisationen zu Gehör. Wir verteidigen die Gewerkschaftsrechte der Beschäftigten und kämpfen für den universellen Zugang zu hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen«, schreibt die PSI über sich selbst.
In Lateinamerika leidet die LGBT+-Community vor allem unter der Kultur des Machismus. Der mischt sich in der Karibik zudem mit religiösen Ansichten, die die Diskriminierung noch verschärfen. Homo-, Bi-, Inter- und Transphobien sind gerade in der Karibik, Zentralamerika und den Andenländern stark ausgeprägt. »Als Gewerkschaften können wir die LGBT+-Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht nur organisieren, sondern müssen auch ihre zivilen Rechte verteidigen und gegen ihre Diskriminierung aktiv vorgehen«, so Drummond.
Einmal jährlich kommen die fünf Komitees zusammen. Dann treffen sich die Vertreter_innen aus dem Conosur (Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay), den Andenländern, aus Zentralamerika, der Karibik und Brasilien. Inhaltlich geht es vor allem um bessere Kenntnisse der jeweiligen nationalen und internationalen Gesetzeslage und um Inhalte von Abkommen gegen die Diskriminierung von LGBT+-Personen. »Ohne die finanzielle Unterstützung des DGB Bildungswerks wäre das alles nicht möglich«, so Drummond.
Die Kooperation mit dem DGB Bildungswerk Bund in Deutschland ist ein stetiger Ansporn. »Das verlangt von uns nicht nur, Vorschläge und Aktionen auf die Agenda zu setzen, sondern ermöglicht uns auch, eine Person einzustellen, die diese Agenda vorantreibt«, erklärt Drummond. Das sei besonders wichtig, wenn, wie in Brasilien, eine extrem konservative Regierung an die Macht kommt und das Rad zurückdrehen will. Aber auch, wenn es gilt, bei einer progressiven Regierung Fortschritte bei LGBT+-Anliegen einzufordern.
»Und wir machen Fortschritte«, bekräftigt der PSI-Regionalsekretär. Sei es beim Eintreten gegen die Diskriminierung am Arbeitsplatz, im Kampf gegen die Straflosigkeit bei Gewalttaten gegen LGBT+-Personen oder beim Ringen um die gleichgeschlechtlichen Ehen. »Die Komitees sind in die Entscheidungs- und Machtstruktur des PSI eingebettet«, erklärt er. So sind die Mitglieder der einzelnen subregionalen Komitees zugleich auch politische Vertreter_innen ihrer Region.
Die Folge ist, dass die LGBT+-Komitees von den lokalen Gewerkschaftsführungen nicht mehr als untergeordnetes Grüppchen angesehen werden, deren Themen lediglich als progressive Aushängeschilder dienen. Eine Diskriminierung von LGBT+-Beschäftigten werde innerhalb des PSI sofort angezeigt und die betreffende Gewerkschaft zur Rede gestellt. »Wo die Repräsentanz der LGBT+-Beschäftigten in die Entscheidungsstrukturen integriert ist, sind deren Interessen zugleich Gewerkschaftsinteressen«, resümiert Jocelio Drummond.
Autor: Jürgen Vogt lebt in Buenos Aires. Er berichtet für verschiedene Medien aus den lateinamerikanischen Ländern.