Lieferkettengesetz: Stoff für Beschwerden
4.12.2025 I Das deutsche Lieferkettengesetz stärkt die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften. Darum lohnt es, weiter dafür zu kämpfen. Perfekt ist es aber noch nicht. Das zeigen Verfahren gegen Ikea und Amazon.
Sina Marx von der Menschenrechtsorganisation Femnet hat im April 2023 die erste Beschwerde bei der Kontrollbehörde des deutschen Lieferkettengesetzes, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), mitvorbereitet. Das war, so sagt sie, „als alle noch relativ euphorisch waren, was das Gesetz alles erreichen kann”.
Zusammen mit dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) und der Nationalen Bekleidungsgewerkschaft in Bangladesch (NGWF) wirft Femnet dem schwedischen Möbelkonzern Ikea und dem US-amerikanischen Onlinehändler Amazon Sicherheitsmängel in Textilfabriken in Bangladesch vor, die die beiden Unternehmen beliefern. Demnach fehlen dort zum Beispiel Inspektionen, Gewerkschaften werden eingeschränkt.
Doch nachdem das BAFA die Beschwerde angenommen hatte, erfuhren die Organisationen offiziell nichts mehr. Sie mussten die Akteneinsicht erstreiten. Im September 2025 wurde sie schließlich gewährt. So erfahren sie, dass das Verfahren gegen Ikea bereits im November 2024 eingestellt wurde. In den Unterlagen ist vieles geschwärzt. Erkennbar ist, dass der Möbelkonzern ein Audit unternommen und einen Aktionsplan erstellt hat.
„Was genau das Unternehmen vermeintlich gemacht hat, um die Lage vor Ort zu verbessern, wissen wir aber nicht.”
Marx sagt: „Was genau das Unternehmen vermeintlich gemacht hat, um die Lage vor Ort zu verbessern, wissen wir aber nicht.” Für das Bafa waren die Maßnahmen ausreichend, auch das steht in der Akte. Vor Ort, meint Marx, sei davon allerdings nichts angekommen.
Für den multinationalen Konzern Amazon gab es hingegen nicht einmal ein Verfahren. Als Marx und die anderen die Beschwerde einreichten, galt das Gesetz für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden in Deutschland. „Amazon hat es geschafft, durch die Unternehmensstruktur mit mehreren Tochtergesellschaften unter diese Schwelle zu fallen”, erklärt Marx.
Sie fordert nun Änderungen. Das Bafa müsse eine Liste der Unternehmen veröffentlichen, die unter das Gesetz fallen, und diese müssten dann ihre Lieferketten offen legen, sagt Marx. Denn viele Betroffene von Menschenrechtsverletzungen wüssten gar nicht, welche Unternehmen ihre Fabrik am Ende beliefert. Außerdem müssten sie erst einmal erfahren, dass es das Lieferkettengesetz gibt und wie sie es nutzen können, so Lisa Pitz vom ECCHR, das zusammen mit Partnerorganisationen bereits fünf Beschwerdefälle beim Bafa eingereicht hat.
Außerdem müsse die Beteiligung gestärkt werden. Die Kontrollbehörde müsse die Betroffenen, die Organisationen und Gewerkschaften, die Beschwerde einlegen, stärker ins Verfahren einbeziehen. Das Bafa könne von der Expertise von vor Ort profitieren, etwa in Erfahrung bringen, ob Maßnahmen wirken oder ob Audits in einem angemessenen Rahmen gemacht wurden, sagt Pitz.
Vor allem kritisieren Marx und Pitz, dass die Kontrollbehörde von Unternehmen zu wenig einfordert. „Das Bafa muss klare Grenzen aufzeigen, welche Maßnahmen wirksam sind und welche nicht. Sonst haben wir das Risiko, dass die Unternehmen im Endeffekt einfach nur ‘irgendwas’ machen müssen, ein Audit, einen Aktionsplan – und dann passt alles”, erklärt Pitz.
"Das Bafa muss klare Grenzen aufzeigen, welche Maßnahmen wirksam sind und welche nicht."
Vor allem kritisieren Marx und Pitz, dass die Kontrollbehörde von Unternehmen zu wenig einfordert. „Das Bafa muss klare Grenzen aufzeigen, welche Maßnahmen wirksam sind und welche nicht. Sonst haben wir das Risiko, dass die Unternehmen im Endeffekt einfach nur ‘irgendwas’ machen müssen, ein Audit, einen Aktionsplan – und dann passt alles”, erklärt Pitz.
Bisher hat das Bafa noch für kein Unternehmen konkrete Maßnahmen zur Behebung von Pflichtverletzungen angeordnet. Sanktionen habe es auch keine gegeben, so das Bafa.
Für Marx und Pitz ist diese mangelnde Durchsetzungskraft Folge des politischen Gezerres um das Lieferkettengesetz, das abgeschwächt werden soll. Pitz: „Das führt auch dazu, dass Unternehmen viel weniger Druck haben, sich wirklich wirksame Maßnahmen zu überlegen.”
Das Lieferkettengesetz habe großes Potenzial, darum werde es so stark bekämpft
Das sei ein Rückschlag. Denn bisher habe das Lieferkettengesetz die Verhandlungsmacht von Gewerkschaften gestärkt, meint Pitz. Manche Sektoren hätten sich zum ersten Mal ernsthaft mit dem Thema Menschenrechte in ihren Lieferketten befasst, sie seien erstmals bereit gewesen, „direkt mit Gewerkschaften zu sprechen und auch Zugeständnisse zu machen”.
Gewerkschaften des Bananen-Sektors in Costa Rica etwa beschwerten sich bei Aldi unter anderem über zu niedrige Lohnzahlungen und gesundheitsschädigende Praktiken. Der Discounter leitete eine Untersuchung ein und verhandelte mit den Gewerkschaften. Daraufhin wurden Anfang November erstmals Entschädigungen an betroffene Arbeiter*innen gezahlt.
In Pakistan gelang es einer Gewerkschaft, mit dem Textildiscounter KiK ins Gespräch zu kommen. Mit dem schwindenden politischen Willen drehte sich allerdings der Wind und KiK blieb untätig, als vor Ort eine Reihe Arbeiter*innen entlassen wurden.
Das Lieferkettengesetz habe großes Potenzial, darum werde es so stark bekämpft, meint Pitz: „Es adressiert, dass viele Unternehmen ihre sozialen und ökologischen Kosten externalisieren und dadurch ihre Profite maximieren.” Für die Juristin ist das Gesetz trotz zahlreicher Defizite eine “riesengroße Errungenschaft”, für die es sich zu kämpfen lohnt.
Quellen:
Noch keine Anordnungen und Sanktionen:
https://dserver.bundestag.de/btd/21/022/2102236.pdf
Autorin: Leila van Rinsum ist Journalistin, sie lebt in Berlin und schreibt über Entwicklungspolitik und globalen Handel.
Aus NORDSÜD NEWS III Dezember 2025 - Gute Arbeit entlang der Lieferkette