Klimafreundlicher Zement - Grüner Umbau auf Kosten der Beschäftigten
09.12.2022 I Ökologisch könnte man die jüngste Entwicklung des Schweizer Baustoffriesen Holcim für eine Erfolgsgeschichte halten. Sozial sieht es aber anders aus. Ein breites Bündnis von Gewerkschaften wirft dem Konzern vor, Arbeitnehmer_innen für das neue grüne Ansehen auszubeuten.
Die Baustoffbranche hat derzeit mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Nach oben schießende Energiepreise, steigende Zinsen für Baukredite und zerrissene Lieferketten verschrecken die Bauherren und -frauen. Sie lassen Aufträge und Umsätze schrumpfen. Entsprechend ist auch die Nachfrage nach Zement deutlich zurückgegangen: Laut der World Cement Association ist sie in der ersten Jahreshälfte um 8 Prozent gefallen. Zugleich fehlt es vielen Unternehmen an Geld, denn immer mehr Banken oder Versicherungen steigen aus Investitionen in klimaschädliche Industrien aus. Steuerungsinstrumente wie der Emissionshandel in der EU lassen ihre Produktionskosten zusätzlich auch politisch gewollt klettern.
Zement ist ein gigantischer Klimakiller. Die Produktion verursacht mit rund 2,7 Milliarden Tonnen Kohlendioxid etwa 8 Prozent der globalen menschengemachten Treibhausgas-Emissionen jährlich. Das liegt vor allem am äußerst energieintensiven Prozess: Zement, das Klebemittel im Beton, wird aus den Hauptbestandteilen Kalkstein und Ton hergestellt. Das Gestein wird gemahlen, bei Temperaturen von über 1.400 Grad Celsius gebrannt und nochmals gemahlen.
Hier sind alternative Produktionsverfahren gefragt, daneben forschen die Baustoffkonzerne an Möglichkeiten, das während des Prozesses anfallende CO2 abzuscheiden und entweder zu speichern oder als Rohstoff etwa an Chemieunternehmen zu verkaufen. Ganz gut zurecht mit der Umstellung auf nachhaltigere Verfahren kommt der schweizerisch-österreichische Konzern Holcim. Er ist eine aus der Fusion der Schweizer Firmen Holcim und der französischen Lafarge hervorgegangene Aktiengesellschaft mit Sitz im Schweizer Zug und gehört zu den größten globalen Baustoffproduzenten. 2022 will er einen Umsatz von 29 Milliarden Schweizer Franken (29,3 Milliarden Euro) erreichen. Während sich die Aktienkurse anderer großer Zementkonzerne seit Jahresbeginn zum Teil halbiert haben, musste Holcim nur Kursverluste von 5 Prozent hinnehmen. Trotzdem heißt es etwa bei der Nachrichtenagentur Reuters: »Anleger fassen die Aktie nur mit spitzen Fingern an.«
Das hat auch damit zu tun, dass Holcim keineswegs besonders gut dasteht, was die sogenannte unternehmerische Verantwortung angeht. Der Konzern trennt sich einerseits entschlossen von traditionellen – also klimaschädlichen – Geschäftsbereichen, vor allem in Schwellenländern. In diesem Jahr beispielsweise hat er sein Indien-Geschäft für 6,4 Milliarden Franken verkauft, davor ist er aus Brasilien und Indonesien ausgestiegen. Damit senkte er seinen CO2-Fußabdruck jeweils mit einem Schlag erheblich. Das erlöste Geld soll in Geschäftsbereiche außerhalb des Zements fließen, etwa in Bedachungen, Isolationen, Bodenbelägen und Mörtel.
Andererseits trägt er diesen Umbau auf dem Rücken der Beschäftigten aus.
Holcim hat die Anzahl seiner direkt Beschäftigten in Asien von 135.000 auf weniger als 68.000 verringert.
Im Mai wandten sich die globalen Gewerkschaftsverbünde IndustriALL Global Union, Bau- und Holzarbeiter-Internationale (BHI) und die Europäische Föderation der Bau- und Holzarbeiter (EFBH), die insgesamt mehr als 62 Millionen Arbeitnehmer_innen in verschiedenen Branchen repräsentieren, an die Aktionär_innen der Holcim. Sie kritisierten den Verkauf der Unternehmenssparten, der dazu führe, dass der Konzern zunehmend mit Subunternehmen arbeitet.
So habe Holcim die Anzahl seiner direkt Beschäftigten in Asien von 135.000 auf weniger als 68.000 verringert. Das habe zur Folge, dass mehr als 80 Prozent der in der Region ansässigen Arbeitnehmer_innen in der Holcim-Wertschöpfungskette nur befristete Verträge hätten – »trotz der Tatsache, dass Holcims Produktionskapazitäten weiter steigen«.
Zudem habe nicht nur die soziale, sondern auch die gesundheitliche Sicherheit abgenommen. Von dem angestrebten Ziel von »Zero Harm« – also der Garantie sicherer Arbeit ohne Verletzungen und Todesfälle – sei der Konzern meilenweit entfernt. »Arbeitnehmer in den Zementwerken von Holcim sind kontinuierlich mit gefährlichen Arbeitsbedingungen, unverhältnismäßig vielen Überstunden, fehlender Schutzausrüstung und unbezahlten Abwesenheitstagen konfrontiert«, schrieben die Gewerkschaften. Dabei müsse die Garantie eigentlich ausgebaut werden und auch für Beschäftigte in den Subunternehmen gelten.
Auch in Afrika setzt der Konzern auf Outsourcing und auch hier sind die Konsequenzen für die Arbeitnehmer_innen fatal. Anfang des Jahres starben in einer Holcim-Fabrik in Uganda drei Menschen, acht wurden verletzt, als bei der Installation eines Dieseltanks ein Feuer ausbrach. Die Tragödie lenkte den Blick auf den Umgang mit den Beschäftigten in dem Werk. Seit Jahren werden dort Mitarbeitende entlassen, die sich gewerkschaftlich engagieren, und durch Subunternehmer ersetzt. Der Weg für Holcim zu einem wirklich nachhaltigen Unternehmen ist also noch lang.
Die Autorin: Heike Holdinghausen Ist Journalistin, lebt in Berlin und beschäftigt sich vor allem mit Rohstoffpolitik.
NORD I SÜD news IV/2022 >> zum Newsletter anmelden